Leitsatz

Der Freibetrag des § 3 Nr. 9 EStG ist – falls Zahlungen aus Anlass der Auflösung eines Arbeitsverhältnisses in mehr als einem Veranlagungszeitraum bezogen werden – bei der ersten Zahlung zu berücksichtigen. Ein Wahlrecht des Steuerpflichtigen besteht nicht.

 

Normenkette

§ 3 Nr. 9, § 24 Nr. 1 Buchst. a, § 34 EStG, § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO

 

Sachverhalt

Der Kläger (A) vereinbarte mit seinem Arbeitgeber, ab dem 1.4.1998 zunächst einen unbezahlten Sonderurlaub anzutreten und zum 31.12.2000 das Arbeitsverhältnis aufzulösen. Zu Beginn des Sonderurlaubs erhielt A eine sog. Umorientierungshilfe i.H.v. 120.322 DM und im Jahr 2000 eine Abfindung i.H.v. 36.000 DM. Das Betriebstätten-FA hatte zuvor dieses sog. Vorruhestandsmodell geprüft und die beiden Zahlungen als eigenständige Sachverhalte gewürdigt.

Das für A zuständige FA besteuerte die Umorientierungshilfe im Jahr 1998 mit dem ermäßigten Steuersatz nach § 34 EStG; der Freibetrag des § 3 Nr. 9 EStG wurde nicht berücksichtigt. Für das Jahr 2000 erklärte A eine ermäßigte Abfindung von 12.000 DM (36.000 DM ./. 24.000 DM = Freibetrag nach § 3 Nr. 9 EStG). Aufgrund einer Mitteilung des BfF im Jahr 2002, dass beide Zahlungen auf einem Rechtsgrund beruhten, änderte das FA die Bescheide für 1998 und 2000 nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO. Für 1998 besteuerte es einen Zufluss von 84.322 DM (120.322 DM ./. 36.000 DM = Freibetrag nach § 3 Nr. 9 EStG), für 2000 einen Zufluss von 36.000 DM. Den begünstigten Steuersatz gewährte es mangels Zusammenballung nicht.

Das FG gab der Klage für 1998 statt. Es ging davon aus, dass die Voraussetzungen für eine Änderung nach § 173 AO nicht vorgelegen hätten, weil das FA seine Ermittlungspflicht verletzt habe.

 

Entscheidung

Der BFH hob auf die Revision des FA das FG-Urteil auf und wies die Klage ab.

Das FA habe seine Ermittlungspflicht nicht verletzt und sei zur Änderung des Bescheids berechtigt gewesen. Der begünstigte Steuersatz sei auch zu Recht versagt worden, weil beide Zahlungen eine einheitlich zu beurteilende Entschädigung gebildet hätten, die nicht zusammengeballt zugeflossen sei.

 

Hinweis

1. Zur Frage der Verletzung der Ermittlungspflicht des FA im Zusammenhang mit der nachträglichen Versagung des begünstigten Steuersatzes für Entschädigungen wegen Auflösung von Arbeitsverhältnissen hat der BFH in jüngster Zeit in einer Reihe von Entscheidungen Stellung genommen (vgl. zuletzt BFH, Urteil vom 23.2.2005, XI R 3/04, BFH/NV 2005, 1269, m.w.N.). Dabei geht er von dem Grundsatz aus, dass das FA eindeutigen Steuererklärungen nicht mit Misstrauen begegnen muss, sondern regelmäßig von deren Richtigkeit ausgehen kann. Das gilt selbst dann, wenn an der Erstellung der Erklärung kein Angehöriger eines steuerberatenden Berufs mitgewirkt hat (vgl. BFH, Urteil vom 7.7.2004, XI R 10/03, BFH-PR 2004, 454).

Im Streitfall war die Angabe in der Steuererklärung, die mithilfe eines Steuerberaters erstellt war, eindeutig und entsprach den Eintragungen auf der Lohnsteuerkarte. Allein die Erklärung einer "Entschädigung" – so betont der BFH nochmals – löst nicht die Verpflichtung des FA aus, die zugrunde liegenden Vereinbarungen anzufordern.

2. Die Tatsache, dass das Betriebstätten-FA das hier vereinbarte Vorruhestandsmodell nach einer Lohnsteuer-Außenprüfung"anerkannt" hatte, hat keine Bindungswirkung für die Veranlagung des Arbeitnehmers. Die Lohnsteuer-Außenprüfung prüft die Pflichten des Arbeitgebers zur Einbehaltung und Abführung der Lohnsteuer. Das Rechtsverhältnis zwischen Arbeitnehmer und FA wird dadurch nicht berührt (ständige Rechtsprechung, vgl. BFH, Urteil vom 27.3.1991, VI R 126/87, BStBl II 1991, 720).

3. Die beiden unterschiedlich bezeichneten Zahlungen (die sog. Umorientierungshilfe und die sog. Abfindungszahlung) sind – entsprechend dem Grundsatz der Einheitlichkeit einer Entschädigung (vgl. dazu BFH, Urteil vom 14.8.2001, XI R 22/00, BFH-PR 2002, 121) – Teil der Gesamtentschädigung für den Verlust des Arbeitsplatzes. Die sog. Umorientierungshilfe, die während des unbezahlten Sonder- oder Übergangsurlaubs gezahlt wurde und die in Tarifverträgen üblicherweise als Vorruhestandsgeld bezeichnet wird, dient nicht der Erfüllung von Gehaltsansprüchen, da solche Ansprüche für die Zeit vom 1.4.1998 bis 31.12.2000 ausdrücklich ausgeschlossen worden sind; die gezahlten Gelder sind damit Teil der im Zusammenhang mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses gezahlten Entschädigung (vgl. dazu bereits BFH, Urteile vom 14.5.2003, XI R 16/02, BFH-PR 2003, 438, und vom 16.6.2004, XI R 55/03, BFH-PR 2005, 3).

Da Umorientierungshilfe und Abfindung in zwei verschiedenen Kalenderjahren gezahlt worden sind, fehlt es an dem für eine begünstigte Besteuerung erforderlichen zusammengeballten Zufluss.

Beachten Sie: Zu einer begünstigten Besteuerung im Jahr 1998 hätte es trotzdem kommen können, wenn der Freibetrag des § 3 Nr. 9 EStG auf die Abfindungszahlung von 36.000 DM im Jahr 2000 hätte angewendet werden können und diese in vollem Umfang "aufgezehrt" hätte. Denn steuerfreie Einkünfte s...

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