Rz. 23
Unterhält der Gewerbebetrieb eine Betriebsstätte in einem Gebiet, das zu keiner Gemeinde gehört, kann sich die Hebeberechtigung nicht aus § 4 Abs. 1 GewStG ergeben, der auf die Gemeinde der Betriebsstätte abstellt. Der im gemeindefreien Gebiet erzielte Gewerbeertrag kann auch nicht etwaigen Betriebstätten in anderen Gemeinden zugerechnet und dort besteuert werden. Daher enthält § 4 Abs. 2 GewStG eine Verordnungsermächtigung für die jeweilige Landesregierung, um zu bestimmen, welche öffentlich-rechtliche Körperschaft insoweit die Funktionen einer Gemeinde übernimmt. § 4 Abs. 2 GewStG schließt eine ansonsten bestehende Besteuerungslücke, da anderenfalls für den in diesen Gebieten erzielte Gewerbeertrag eine ungewollte Gewerbesteuerfreiheit bestehen würde. Die GewSt ist zwar eine Gemeindesteuer und dient in erster Linie dazu, die Finanzierungsfreiheit der Gemeinde zu sichern. Allerdings erfordert es das Gebot der Belastungsgleichheit im Steuerrecht, alle Stpfl., die sich in einer vergleichbaren Lage befinden, gleich zu behandeln und in vergleichbarer Weise mit Steuer zu belasten. Daher müssen auch Stpfl., die ein gewerbliches Unternehmen durch eine gemeindefreie Betriebsstätte ausüben, mit GewSt belastet werden, um diese nicht ungerechtfertigt zu bevorzugen.
Rz. 23a
Die Regelung verstößt nach der finanzgerichtlichen Rechtsprechung nicht gegen das Grundgesetz. Weder liegt ein Verstoß gegen die Gesetzgebungskompetenz vor noch besteht in der auf § 4 Abs. 2 GewStG gestützten Verordnung ein ungerechtfertigter Eingriff in die gem. Art. 28 GG geregelte Finanzierungsfreiheit der Gemeinden. Die Gesetzgebungskompetenz ergibt sich aus Art. 72 Abs. 2 GG. Die Regelung ist zur Wahrung der Rechts- und Wirtschaftseinheit im gesamtstaatlichen Interesse erforderlich, da anderenfalls eine Regelungslücke bestehen würde. § 4 Abs. 2 GewStG sieht vor, dass die Landesregierung entsprechende Rechtsverordnungen erlässt. In einer entsprechenden Rechtsverordnung liegt aber kein ungerechtfertigter Eingriff in die Finanzierungsfreiheit der Gemeinden gem. Art. 28 GG. Art. 28 GG garantiert nicht die Höhe etwaiger Einnahmen für die einzelne Gemeinde. Damit ist ein Verringern der tatsächlichen Einnahmen durch Verteilung auf gemeindefreie Gebiete kein Eingriff in die Finanzierungsfreiheit.
Rz. 24
Eine Betriebsstätte ist gemeindefrei, wenn sie nicht in dem Gebiet (Bezirk) einer Gemeinde belegen ist. Der Bezirk der jeweiligen Gemeinde wird in der jeweiligen Gemeindeordnung festgelegt. Gemeindefreie Gebiete gibt es in den folgenden Bundesländern: Schleswig Holstein, Niedersachsen, Hessen, Saarland, Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg, Bayern. Die ostdeutschen Bundesländer haben ebenso wie Bremen, Hamburg und Nordrhein-Westfalen keine gemeindefreien Gebiete. In Hamburg und Berlin gibt es aufgrund ihrer verwaltungsrechtlichen Struktur der Gebietskörperschaften auch keine Gemeinden. Wesentlicher Anwendungsfall für gemeindefreie Betriebsstätten sind Off-Shore Windparks in der ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ). Für diese Fälle enthält § 4 Abs. 2 S. 2, 3 GewStG eine eigene Regelung. In Satz 2 wird zunächst definiert, dass der Anteil am Festlandssockel und der AWZ gemeindefreies Gebiet ist und somit grundsätzlich S. 1 eingreift. § 4 Abs. 2 S. 3 GewStG enthält insoweit keine abweichende Regelung. Fraglich kann allerdings sein, welches die zuständige Landesregierung ist. Diese ist gem. § 22a AO zu bestimmen. Für die AWZ ist grundsätzlich das Bundesland zuständig, an dessen Küsten die AWZ grenzt. Ist eine zuständige Landesregierung ermittelt worden, ist für die Ermittlung der zuständigen Gemeinde auf die Rechtsverordnung dieser Landesregierung abzustellen. Soweit das Land Niedersachsen die zuständige Landesregierung ist, hat es die Zuständigkeit auf die Gemeinde Wilhelmshaven übertragen.
Rz. 25
§ 4 Abs. 2 GewStG betrifft nur inländische Betriebsstätten. Die Frage der Gemeindefreiheit kann sich überhaupt nur stellen, wenn die Betriebsstätte im Inland belegen ist. § 4 Abs. 2 GewStG ermöglicht nicht die Erhebung von GewSt im Ausland.
Rz. 26
Soweit es gemeindefreie Gebiete gibt, gibt es regelmäßig auch entsprechende Verordnungen, z. B. in Baden-Württemberg, Bayern, Niedersachsen und Schleswig-Holstein.