Rz. 11
§ 12 Abs. 1 S. 1 KStG enthält einen Besteuerungstatbestand, wenn das deutsche Besteuerungsrecht für den Gewinn aus einer Veräußerung oder der Nutzung eines Wirtschaftsguts ausgeschlossen oder beschränkt wird. Ist das deutsche Besteuerungsrecht für den Gewinn aus der Veräußerung des Wirtschaftsguts betroffen, fingiert die Vorschrift eine Veräußerung zum gemeinen Wert. Ist das Besteuerungsrecht hinsichtlich der Nutzung des Wirtschaftsguts betroffen, wird eine (Nutzungs-)Überlassung des Wirtschaftsguts, ebenfalls zum gemeinen Wert, fingiert. In systematischer Hinsicht ist § 12 Abs. 1 KStG keine Gewinnrealisierungsvorschrift, da kein Gewinn im Sinne des Realisationsprinzips realisiert wird. Es handelt sich vielmehr um eine Gewinnausweisvorschrift, da ein Gewinn auszuweisen ist, ohne dass ein Tatbestand vorliegt, der nach dem Realisationsprinzip zu einer Gewinnverwirklichung führt.
Rz. 12
Die Gesetzesbegründung sieht diese Regelung als Klarstellung zur ohnehin bestehenden Rechtslage an. Das ist m. E. unrichtig, da ein gesetzlicher Gewinnrealisierungstatbestand bisher nicht existierte. Ein solcher kann auch nicht mittelbar § 6 Abs. 5 S. 1 EStG entnommen werden, wonach die Überführung eines Wirtschaftsguts von einem Betriebsvermögen des Stpfl. in ein anderes Betriebsvermögen desselben Stpfl. (nur) dann zum Buchwert erfolgen kann, wenn die Besteuerung der stillen Reserven sichergestellt ist. Diese Regelung ist z. B. auf die Überführung eines Wirtschaftsguts von einer inländischen in eine ausländische Betriebsstätte desselben Stpfl. nicht anwendbar, weil es sich um ein einheitliches "Betriebsvermögen" handelt; das Gesetz müsste, sollten diese Fälle erfasst werden, so formulieren, dass die Überführung in eine "Betriebsstätte" (statt: "Betriebsvermögen") erfasst wird. Eine Ausdehnung, und nicht nur eine Klarstellung, ist auf jeden Fall die Erfassung der "Nutzung" eines Wirtschaftsguts (Rz. 39ff.).
Rz. 13
Der Tatbestand des Abs. 1 S. 1 steht in Konkurrenz zum Tatbestand der Funktionsverlagerung. Wird eine betriebliche Funktion in das Ausland verlagert (Funktionsverlagerung), können dadurch materielle und immaterielle Wirtschaftsgüter der deutschen Besteuerung entzogen werden. Es kann daher eine Entstrickung eintreten. An sich besteht kein Konkurrenzverhältnis zwischen beiden Vorschriften. § 1 Abs. 3 AStG konkretisiert den Fremdvergleichsgrundsatz für "Geschäftsbeziehungen" i. S. d. § 1 Abs. 1 AStG und verweist in S. 1 ausdrücklich auf Abs. 1. § 1 Abs. 3 AStG ist daher nur anwendbar auf die Übertragung von Wirtschaftsgütern bzw. ein Transferpaket auf eine andere (nahe stehende) Person. Die Vorschrift, und damit die Regelung über die "Funktionsverlagerung", findet daher keine Anwendung auf die Verlagerung von Wirtschaftsgütern, wenn keine Übertragung auf eine andere Person erfolgt. § 12 Abs. 1 KStG ist dagegen nur anwendbar, wenn kein Veräußerungstatbestand vorliegt und der Rechtsträger daher nicht wechselt (Rz. 6d). Jedoch bestimmt § 1 Abs. 5 AStG, dass § 1 Abs. 1, 3 und 4 AStG auf das Verhältnis zwischen Stammhaus und Betriebsstätte bzw. zwischen zwei Betriebsstätten desselben Stammhauses entsprechend anzuwenden ist. Dazu ist die Betriebsstätte gedanklich als selbstständiges Unternehmen zu behandeln. Der Fremdvergleichsgrundsatz, der zum Ansatz der gemeinen Werte führt, ist daher einschließlich der Regeln über Funktionsverlagerung auch im Verhältnis zwischen Stammhaus und Betriebsstätte bzw. zwischen zwei Betriebsstätten anzuwenden. Damit erfasst § 1 Abs. 5 AStG mit der Verweisung auf § 1 Abs. 1, 3 und 4 AStG im Wesentlichen die gleichen Fälle wie § 12 Abs. 1 KStG. Ein Unterschied besteht jedoch darin, dass bei der Funktionsverlagerung eine "Paketbetrachtung" anzuwenden ist, während § 12 Abs. 1 KStG auf das einzelne Wirtschaftsgut abstellt. M.E. haben die Regeln des § 1 AStG Vorrang vor § 12 Abs. 1 KStG, sodass § 12 Abs. 1 KStG auf Wirtschaftsgüter, die bereits im Transferpaket der Funktionsverlagerung berücksichtigt worden sind, nicht mehr anzuwenden ist. § 12 Abs. 1 KStG dürfte daher nur zum Tragen kommen, wenn die Voraussetzungen der Funktionsverlagerung nicht erfüllt sind.