Prof. Dr. Gerrit Frotscher
Rz. 154
Es ist erklärtes Ziel der Einführung des Anrechnungsverfahrens gewesen, die verdeckte Gewinnausschüttung in ihren Belastungswirkungen so weit wie möglich der offenen Ausschüttung anzupassen. Das ist weitgehend gelungen, nachdem die verdeckte Gewinnausschüttung gegen das verwendbare Eigenkapital am Schluss des Wirtschaftsjahres der Ausschüttung verrechnet wird (vgl. § 28 Rz. 19). Verdeckte Gewinnausschüttung und offene Ausschüttung für das gleiche Wirtschaftsjahr werden daher gegen das gleiche verwendbare Eigenkapital verrechnet.
Bei gleichem Einkommen wird eine offene Gewinnausschüttung von 100.000 DM Barausschüttung im Wirtschaftsjahr 02 für das Wirtschaftsjahr 01 beschlossen und durchgeführt, und, alternativ, eine verdeckte Gewinnausschüttung im Wirtschaftsjahr 01 in Höhe von 100.000 DM vorgenommen. Die Wirkungen sind in den beiden Alternativen identisch.
Einkommensermittlung: |
offene |
vGA |
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Ausschüttung |
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Gewinn vor KSt |
200.000 |
100.000 |
vGA |
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100.000 |
Einkommen |
200.000 |
200.000 |
Gliederungsrechnung bis |
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Veranlagungszeitraum 2000 |
EK 40 |
EK 40 |
Zugang netto |
120.000 |
120.000 |
KSt-Minderung 14/50 |
20.000 |
20.000 |
Ausschüttung |
./. 100.000 |
./. 100.000 |
verbleiben |
40.000 |
40.000 |
Rz. 155
Eine in der Praxis unangenehme Folge der verdeckten Gewinnausschüttung im Anrechnungsverfahren ist, dass sie zu einer höheren Begünstigung des Empfängers führt als geplant; der Anteilsinhaber erhält zusätzlich das Anrechnungsguthaben.
Der Gesellschafter-Geschäftsführer erhält eine Vergütung von 100.000 DM, die als unangemessen und damit als verdeckte Gewinnausschüttung eingestuft wird. Folge ist, dass der Empfänger nicht nur, wie geplant, die Vergütung von 100.000 DM erhält, sondern zusätzlich das Anrechnungsguthaben, und zwar in Höhe von 3/7 der Ausschüttung, d. h. von 42.857 DM, zusammen also 142.857 DM.
Die Folge der steuerlichen Beanstandung der Höhe einer Vergütung ist also, dass die verdeckte Gewinnausschüttung mehr verwendbares Eigenkapital verbraucht, als sie durch die Erhöhung des Einkommens schafft, und der Begünstigte dadurch eine zusätzliche Vermögensmehrung auf Kosten der Anrechnungskörperschaft erhält. Bei mehrgliedrigen Gesellschaften führt diese ungewollte Begünstigung des Gesellschafters zu einer Vermögensverschiebung zwischen den Gesellschaftern und damit zu gesellschaftsrechtlichen Problemen, die dadurch noch verschärft werden, dass steuerlich die gesellschaftsrechtlich notwendige Korrektur dieser ungewollten Vermögensverschiebung behindert wird. Das Steuerrecht verletzt hier das Gebot der gesellschaftsrechtlichen Neutralität (vgl. Anh. vGA zu § 8 Rz. 127ff.; Herzig, DB 1985, 353 zu diesem "Divergenzeffekt", der vorschlägt, die verdeckte Gewinnausschüttung durch eine Gesetzesänderung mit dem Bruttobetrag statt mit dem Barbetrag anzusetzen).
Rz. 156
Eine weitere unangenehme Folge der Tatsache, dass die verdeckte Gewinnausschüttung mehr belastetes Eigenkapital verbraucht als sie produziert, ist, dass bei der Verrechnung der verdeckten Gewinnausschüttung leicht die Situation eintreten kann, dass belastetes Eigenkapital zu ihrer Finanzierung fehlt. Muss dann auf unbelastetes Eigenkapital zurückgegriffen werden, um die verdeckte Gewinnausschüttung zu finanzieren, oder muss sogar eine Finanzierung nach § 35 erfolgen, tritt eine erhöhte Steuerbelastung ein.
Verdeckte Gewinnausschüttung von 100.000 im Wirtschaftsjahr 01; keine sonstigen Vorgänge.
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EK 40 |
EK 02 |
Stand 01.01.01 |
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0 |
0 |
Zugang (vGA) abzgl. |
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Tarifsteuer |
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60.000 |
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Stand 31.12.01 |
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60.000 |
0 |
Ausschüttung: |
100.000 |
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aus EK 40: |
60.000 |
./. 60.000 |
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KSt-Minderung: |
10.000 |
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Verbleiben |
36.000 |
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./. 30.000 |
KSt-Erhöhung |
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./. 12.857 |
Zwischenstand |
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0 |
./. 42.857 |
Körperschaftsteuerbelastung: |
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Tarifbelastung |
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40.000 |
KSt-Minderung |
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./. 10.000 |
KSt-Erhöhung |
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12.857 |
Gesamtbelastung |
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42.857 |