Prof. Dr. Gerrit Frotscher
3.1 Rechtslage vor Inkrafttreten des KStG 1977
Rz. 2
Nach dem bis zum 31.12.1976 geltenden Recht fielen alle Zuwendungen der Körperschaft an Anteilsinhaber unter den Begriff des Kapitalertrags, sofern nur die Anteilsrechte ihrem Wesen nach unverändert blieben. Jede Zuwendung wurde daher als Entgelt für die Überlassung des Kapitals angesehen. Ausschüttungen aus Rücklagen, die durch Einlagen der Anteilsinhaber gebildet worden waren, rechneten daher ebenso zu den steuerpflichtigen Kapitalerträgen wie etwa die Rückzahlung von Nachschüssen der GmbH-Gesellschafter. Von der Besteuerung ausgenommen war lediglich die Herabsetzung des Nennkapitals.
Für die Besteuerung der Kapitalrückzahlungen außerhalb der Herabsetzung des Nennkapitals waren praktische Überlegungen maßgebend, da es vor Einführung der Gliederungsrechnung kaum möglich war, zwischen erwirtschafteten Gewinnen und durch Kapitaleinlage zugeführtem Vermögen zu unterscheiden.
Rz. 3
Systematisch unbefriedigend an der bis zum 31.12.1976 geltenden Rechtslage war, dass steuerrechtlich nicht berücksichtigt wurde, dass nicht nur das Nennkapital, sondern auch sonstige Einlagen der Anteilsinhaber als Kapitaleinlage zu behandeln sind und daher kein Unterschied zum Nennkapital besteht. Die Rückzahlung von Eigenkapitalteilen aus einer Kapitalzuführung der Anteilsinhaber ist also als Rückzahlung von Kapital, nicht als Vergütung für die Überlassung von Kapital zu bewerten. Nach dem Grundsatz der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit dürfen der Besteuerung nur solche Vermögensteile unterliegen, die Ergebnis der Teilnahme am wirtschaftlichen Verkehr sind, also durch Verkehrsgeschäfte erwirtschaftet wurden. Für Vermögensteile, die der Körperschaft von den Anteilsinhabern zur Verfügung gestellt worden sind, gilt dies nicht. Sie sind weder Ausdruck der Leistungsfähigkeit der Körperschaft, der das Vermögen vom Anteilsinhaber zur Verfügung gestellt wurde, es also nicht erwirtschaftet hat, noch des Anteilsinhabers, dessen Vermögen nicht gesteigert wurde, sondern der nur zurückerhält, was er der Körperschaft zur Verfügung gestellt hat. Aus diesem Blickwinkel ist eine Differenzierung zwischen Nennkapital und sonstigem durch Kapitaleinlagen entstandenem Vermögen nicht sachgerecht. Die Besteuerung der Rückzahlung von Einlagen, die nicht im Nennkapital gebunden sind, stellt daher einen Verstoß gegen das Prinzip der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit dar. Aus diesem Grund sind auch alle Überlegungen, im Rahmen einer Vereinfachung der Eigenkapitalgliederung das EK 04 fortfallen zu lassen, sachwidrig.
3.2 Ausschüttung unter Verwendung des EK 04
Rz. 4
In der Gliederungsrechnung gehört das EK 04 — ebenso wie die anderen Eigenkapitalteile — zu dem für Ausschüttungen verwendbaren Eigenkapital (grundlegend zur Bedeutung des EK 04 vgl. § 30 Rz. 169ff.). Erfolgt jedoch tatsächlich eine Ausschüttung aus dem EK 04, unterscheidet sich die Behandlung des EK 04 von der der anderen Eigenkapitalteile. Eine Ausschüttung aus dem EK 04 wird als Rückzahlung von Eigenkapital angesehen, das der Anteilseigner eingebracht hat, nicht als Ausschüttung von Gewinnen, die die Anrechnungskörperschaft am Markt erwirtschaftet hat. Dies hat nachstehende Folgen:
- Beim Anteilsinhaber gehört die Rückzahlung von Einlagen, auch von Einlagen, die nicht auf das Nennkapital geleistet wurden, nicht zu den Einkünften aus Kapitalvermögen.
- Da die Auskehrung von Eigenkapital nicht zu den Einkünften aus Kapitalvermögen i.S.d. § 20 Abs. 1 Nr. 1 und 2 EStG gehört, wird nach § 43 Abs. 1 Nr. 1 EStG keine Kapitalertragsteuer erhoben, folglich auch nicht angerechnet.
- Aus dem gleichen Grund erfolgt nach § 36 Abs. 2 Nr. 3 EStG keine Anrechnung von Körperschaftsteuer bei dem Anteilsinhaber.
- Da die Auskehrung unter Verwendung des EK 04 beim Anteilsinhaber nicht zu den Einkünften aus Kapitalvermögen nach § 20 Abs. 1 Nr. 1 und 2 EStG gehört und keine Körperschaftsteuer angerechnet wird, erfolgt auch keine Herstellung der Ausschüttungsbelastung durch eine Körperschaftsteuererhöhung bei der Anrechnungskörperschaft.
§ 40 Nr. 2 ist eine Ausnahme vom allgemeinen Grundsatz der Herstellung der Ausschüttungsbelastung nach § 27 Abs. 1. Die Regelung ordnet sich nahtlos in das System des Anrechnungsverfahrens ein. Die Herstellung der Ausschüttungsbelastung ist erforderlich, weil dem Anteilsinhaber in allen Fällen der Ausschüttung von Gewinnen die Ausschüttungsbelastung in Höhe von 3/7 der Ausschüttung ohne Rücksicht auf die Höhe der ursprünglichen Steuerbelastung bei der Anrechnungskörperschaft angerechnet wird. Dann muss aber sichergestellt werden, dass die ausgeschütteten Gewinne bei der Anrechnungskörperschaft der Ausschüttungsbelastung unterlegen haben. Dem dienen die Körperschaftsteuererhöhungen und -minderungen. Wenn jedoch die Körperschaftsteuer bei einer Ausschüttung, wie es bei Verwendung des ...