Prof. Dr. Klaus-Dieter Drüen
2.4.1 Interessengegensatz zwischen Groß- und Kleinaktionären
Rz. 54
Anteilseigner mit niedrig besteuertem Einkommen, meist Kleinaktionäre, haben im Allgemeinen nur eine verhältnismäßig lockere Bindung an das Unternehmen, in das sie ihr Kapital investiert haben. Vor die Wahl gestellt, höhere Ausschüttungen zu verlangen oder einer Rücklagenbildung zuzustimmen, werden sie sich im Zweifel für die Ausschüttung entscheiden. Die Ausschüttung gibt ihnen die Möglichkeit, die Dividende wieder in lohnenden Beteiligungswerten anzulegen, und zwar auch in Aktien anderer Gesellschaften. Dies ist für Kleinaktionäre häufig attraktiver als eine – u. U. nur geringe – Wertsteigerung, die die alte Aktie infolge höherer Rücklagenbildung erfährt. Verstärkt wird diese Tendenz durch steuerliche Überlegungen. Ein klassisches Körperschaftsteuersystem mit gespaltenem Steuersatz, bei dem der Ausschüttungssteuersatz deutlich niedriger liegt als der Thesaurierungssteuersatz, aber auch ein Anrechnungssystem mit einem Ausschüttungssteuersatz, der unter dem Tarifsteuersatz liegt, begünstigt Ausschüttungen zulasten der Rücklagenbildung. Die Gesamtbelastung des zur Ausschüttung verwendeten Gewinns mit ermäßigter KSt und persönlicher ESt wird bei Kleinaktionären dann häufig niedriger sein als die Belastung mit der höheren KSt, der der einbehaltene Gewinn bei der Gesellschaft unterliegen würde.
Rz. 55
Anders ist die Situation bei Großaktionären, deren Bezüge regelmäßig einem hohen Einkommensteuersatz unterliegen. Schon wegen ihrer engeren Bindung an das Unternehmen werden Großaktionäre eine Selbstfinanzierung durch Rücklagenbildung der Ausschüttung mit anschließender Wiedereinlage vorziehen. Die Belastung des ausgeschütteten Gewinns mit KSt und hoher progressiver ESt kann zusammen höher sein als die Belastung des im Unternehmen verbleibenden Gewinns allein mit KSt.
Rz. 56
Dieser Interessengegensatz zwischen den verschiedenen Klassen der Aktionäre wird verstärkt, wenn der Thesaurierungssteuersatz wesentlich unter der Gesamtbelastung bei Ausschüttung liegt, wie dies im Teileinkünfteverfahren der Fall ist. Für Kleinaktionäre wird eine Ausschüttung trotz der damit verbundenen insgesamt höheren Steuerbelastung wirtschaftlich attraktiver sein als die Thesaurierung. Großaktionäre werden wegen ihrer engeren Bindung an die Körperschaft eher geneigt sein, Steuern durch Thesaurierung zu dem niedrigeren Thesaurierungssteuersatz zu sparen.
2.4.2 Steuerliche Benachteiligung der Eigenfinanzierung gegenüber der Fremdfinanzierung
Rz. 57
Das Körperschaftsteuersystem kann erhebliche Auswirkungen auf die steuerliche Belastung des Eigenkapitals verglichen mit dem für (Gesellschafter-)Fremdkapital haben. Nimmt eine Kapitalgesellschaft Fremdkapital auf, kann sie die Zinsen als Betriebsausgaben absetzen. Nur beim Gläubiger werden die Zinsen als Einkommensbestandteil versteuert. Zu berücksichtigen sind allerdings auch gewerbesteuerliche Effekte. Sind die Zinsen Dauerschuldzinsen nach § 8 Nr. 1 GewStG, unterliegen sie durch die Hinzurechnung aus der Sicht der die Zinsen schuldenden Körperschaft bei ihr nur mit der Hälfte der GewSt. Dadurch ist die Gewerbesteuerbelastung der Zinsen um die Hälfte geringer als die des ausgeschütteten Gewinns. Wenn allerdings der Anteilseigner selbst der GewSt unterliegt, sind die Zinsen aus der Gesellschafter-Fremdfinanzierung mit einer 1,5-fachen GewSt belastet.
Rz. 58
Unter einem klassischen System mit hoher Doppelbelastung wird daher tendenziell die Finanzierung durch Eigenkapital gegenüber der Finanzierung durch Gesellschafter-Fremdkapital benachteiligt. Sollen Anteilseigner und Kreditgeber eine Verzinsung ihres Kapitals in gleicher Höhe erhalten, so muss die Gesellschaft zur Verzinsung des Eigenkapitals einen höheren Betrag erwirtschaften. Die steuerliche Mehrbelastung der Eigenfinanzierung wirkt sich nachteilig auf die Kapitalstruktur der Kapitalgesellschaften aus, weil verstärkte Fremdfinanzierung (einschließlich Gesellschafter-Fremdfinanzierung) der Erhöhung ihres haftenden Kapitals vorgezogen wird.
Rz. 59
Auch unter dem Anrechnungsverfahren bestand dieser Effekt, allerdings nur für nichtanrechnungsberechtigte Anteilseigner, insbesondere Körperschaften des öffentlichen Rechts, unbeschränkt steuerpflichtige, von der KSt befreite juristische Personen und ausländische Anteilseigner. Für diesen Personenkreis blieb die KSt in Höhe der Ausschüttungsbelastung und des daneben erhobenen inländischen Steuerabzugs vom Kapitalertrag auch nach Einführung des Anrechnungsverfahrens ein definitiver Belastungsfaktor. Fremdkapitalzinsen wurden dagegen nur als Dauerschulden und auch dann nur mit der Hälfte mit GewSt im Inland belastet.
Rz. 60
Um bei diesem Personenkreis einer Flucht aus der inländischen KSt durch erhöhte Fremdkapitalfinanzierung vorzubeugen, werden nach § 8a KStG bestimmte Vergütungen an Fremdkapitalgeber nicht zum sofortigen Abzug zugelassen, wobei besonders strenge Regeln für Gesellschafter-Fremdkapital gelten.
Rz. 61
Im Grundsatz tritt dieser Effekt der Bevorzugung des Fremdkapitals zulasten des Eigenkapitals auch bei dem Teileinkünfteverfahren ein. Unverändert geblieben sind die gewer...