Prof. Dr. Klaus-Dieter Drüen
4.2.1 Belastungsunterschiede
Rz. 115
Das Teileinkünfteverfahren basiert auf einem typisierenden Belastungsvergleich, der die von der Körperschaft und die von dem Anteilseigner gezahlte Steuern einbezieht. Durch Ansatz von 60 % der Einkünfte auf der Ebene des Anteilseigners soll eine Besteuerung hergestellt werden, die als angemessen angesehen wird. Da dieser Belastungsvergleich, auf dem die gesetzliche Regelung beruht, nur typisierend erfolgen kann, weicht die Steuerbelastung im konkreten Fall von der vom Gesetz als angemessen empfundenen Belastung ab. Das System ist dabei in dem Sinne nicht steuerneutral, als Dividendeneinkünfte beim Anteilseigner einer Gesamtbelastung unterliegen können, die höher oder niedriger sein kann als die Belastung anderer Einkünfte bei diesem konkreten Steuerpflichtigen. Bei hoher Progressionsstufe sind die Dividendeneinkünfte danach niedriger besteuert als die übrigen Einkünfte, bei niedriger Progressionsstufe dagegen höher. Ursprünglich war bei einem persönlichen Steuersatz von 42 % die Gesamtbelastung der Dividenden mit 25 % KSt und Belastung durch das Halbeinkünfteverfahren einerseits und Belastung der übrigen Einkünfte andererseits gleich. Unter dem Teileinkünfteverfahren wird diese Belastungsgleichheit nur annähernd erreicht. Das zeigt folgender Belastungsvergleich (ohne SolZ):
Persönlicher Steuersatz des Anteilseigners |
42 % |
20 % |
45 % |
Gewinn vor KSt |
100,00 |
100,00 |
100,00 |
KSt 15 % |
15,00 |
15,00 |
15,00 |
Dividende |
85,00 |
85,00 |
85,00 |
60 % vom Anteilseigner zu versteuern |
51,00 |
51,00 |
51,00 |
ESt des Anteilseigner |
21,42 |
10,20 |
22,95 |
Belastung aus KSt und ESt |
36,42 % |
25,20 % |
37,95 % |
Rz. 116
Aus dem Belastungsvergleich ergibt sich, dass bei einem Steuerpflichtigen mit einem Durchschnittsteuersatz von 20 % die Gesamtsteuerbelastung der Dividende mit 25,2 % deutlich höher ist als die Belastung anderer Einkunftsteile. Bei einem Vorsteuerergebnis von 100 bleiben ihm also nur 74,8, während ihm bei anderen Einkommensteilen 80 bleiben. Bei rationalem Verhalten wird der Steuerpflichtige daher Dividendeneinkünfte meiden. Bei einem hohen Steuersatz ist die Wirkung dagegen umgekehrt. Während dem Steuerpflichtigen bei sonstigen Einkommensteilen nur 52 verbleiben, sind es bei Dividendeneinkünften 62,1. Der Steuerpflichtige wird also dahin tendieren, Dividendeneinkünfte zulasten anderer Einkünfte zu bevorzugen.
Steuerpolitisch sind für diese relativ geringere Belastung der Dividendeneinkünfte im Verhältnis zu anderen Einkünften desselben Steuerpflichtigen bei hohen Einkommen und die entsprechende relative Benachteiligung bei niedrigeren Einkommen keine Gründe ersichtlich. Gegen diese Ungleichbehandlung bestehen daher verfassungsrechtliche Bedenken.
4.2.2 Steuerpflichtiges und steuerfreies Einkommen
Rz. 117
Das klassische System mit einheitlichem Steuersatz und Teileinkünfteverfahren basiert auf der Annahme, dass das Einkommen der Körperschaft steuerlich in bestimmter Höhe vorbelastet ist. Nur dann rechtfertigt sich die Verminderung der Bemessungsgrundlage auf der Ebene des Anteilseigners, um zusammen mit der Vorbelastung eine insgesamt als angemessen angesehene Steuerbelastung herzustellen. Im deutschen Besteuerungssystem wird diese Vorbelastung bei der ausschüttenden Körperschaft aber nicht exakt für den Einzelfall ermittelt, sondern typisierend mit 15 % unterstellt. Das bedeutet, dass tatsächlich höher (z. B. durch ausländische Steuern) vorbelastete Einkünfte nicht entlastet werden, andererseits niedriger oder gar nicht vorbelastete Einkünfte nicht belastet werden (kein "Heraufschleusen" der Steuerbelastung bei der Körperschaft). Die Folge ist, dass bei Eingreifen des Entlastungsmechanismus auf der zweiten Stufe (Teileinkünfteverfahren bei natürlichen Personen, Steuerfreistellung bei Körperschaften) das von dem Gesetz gewollte Ergebnis nur eintritt, wenn die Vorbelastung tatsächlich in Höhe der typisierend unterstellten Belastung von 15 % besteht. Ist das nicht der Fall, führt das Teileinkünfteverfahren zu Inkonsequenzen. War die Vorbelastung höher als 15 %, reicht die Entlastung durch das Teileinkünfteverfahren nicht aus. War sie niedriger oder bestand überhaupt keine Vorbelastung, erfolgt auf der Ebene des Anteilseigners eine Entlastung durch das Teileinkünfteverfahren, obwohl dies von der gesetzgeberischen Intention her nicht gerechtfertigt ist.
Rz. 118
Die Steuerbefreiung von Ausschüttungen von Körperschaften an Körperschaften nach § 8b Abs. 1 KStG sowie die Anwendung des Teileinkünfteverfahren nach § 3 Nr. 40 EStG bei natürlichen Personen ist nicht abhängig davon, ob die ausschüttende Körperschaft inländisch oder ausländisch ist. Das bedeutet, dass Ausschüttungen ausländischer Körperschaften an inländische Körperschaften steuerlich nach § 8b Abs. 1 KStG freigestellt werden. Deutschland wendet insoweit unilateral die Freistellungsmethode an, unabhängig davon, ob ein DBA besteht oder welche R...