Elisabeth Wöhrle, Dr. Magnus Bleifeld
4.3.5.1 Systematischer Zusammenhang
Rz. 162
Weitere Einschränkungen für die steuerneutrale Spaltung enthält § 15 Abs. 2 S. 2 bis 4 UmwStG. Eine Spaltung ist dann nicht steuerneutral möglich, wenn durch sie eine Veräußerung an außenstehende Personen vollzogen oder vorbereitet wird. Diese Ausschlussregelung dient der Verhinderung von Missbräuchen. Der Gesetzgeber befürchtete, dass die (deutsche) Steuerpflicht auf die Veräußerung von (fiktiven oder originären) Teilbetrieben dadurch umgangen werden könnte, dass die Anteile an einem der beteiligten Rechtsträger nach der Spaltung veräußert werden, z. B. durch einen im Ausland ansässigen Anteilseigner. Die Regelung bedeutet, dass § 11 Abs. 2 UmwStG nicht anwendbar ist, d. h., in der Übertragungsbilanz der übertragenden Körperschaft sind bei der Aufspaltung die gemeinen Werte anzusetzen und der dadurch entstehende Gewinn ist zu versteuern. Bei der Abspaltung ist das bei der übertragenden Körperschaft verbleibende Vermögen jedoch weiterhin mit dem Buchwert anzusetzen, da insoweit kein Gewinnrealisierungstatbestand erfüllt ist. Rechtswirkungen für die Gesellschafter der übertragenden Körperschaft treten nicht ein; § 13 Abs. 2 UmwStG ist weiter anzuwenden. Daher mag es im Interesse der Gesellschafter sein, trotz des Vorliegens einer schädlichen Veräußerung die Teilbetriebsvoraussetzungen des § 15 Abs. 1 S. 2 UmwStG zu erfüllen.
4.3.5.2 Vereinbarkeit mit EU-Recht
Rz. 163
Nach Art. 15 Abs. 1 Buchst. a FRL kann vorgesehen werden, dass die Spaltung steuerwirksam ist, wenn der hauptsächliche Beweggrund oder einer der hauptsächlichen Beweggründe die Steuerhinterziehung oder Steuerumgehung ist. Von einem solchen Beweggrund kann ausgegangen werden, wenn die Spaltung nicht auf vernünftigen wirtschaftlichen Gründen, insbesondere der Umstrukturierung oder der Rationalisierung der beteiligten Gesellschaften beruht. Eine Spaltung mit dem Ziel der Veräußerung dürfte keine "Umstrukturierung und Rationalisierung" i. S. d. Art. 15 Abs. 1 Buchst. a FRL sein. Der Zweck der Missbrauchsregelung des § 15 Abs. 2 UmwStG stimmt insofern grundsätzlich mit Art. 15 Abs. 1 Buchst. a FRL überein.
Rz. 164
Problematisch ist jedoch die typisierende Annahme des Missbrauchs bei einer Veräußerung von mehr als 20 % der Anteile innerhalb von 5 Jahren (Rz. 203ff.). Art. 15 Abs. 1 Buchst. a FRL lässt eine Vermutungsregelung zu; die Formulierung "… kann ausgegangen werden" entspricht der Formulierung in § 15 Abs. 2 S. 4 UmwStG ("Davon ist auszugehen…"). Allerdings sind zwingende typisierende Missbrauchsannahmen europarechtlich nicht zulässig; es muss zumindest eine Möglichkeit der Widerlegung der Vermutung durch den Stpfl. eröffnet werden. Der Ausdruck "Davon ist auszugehen" in § 15 Abs. 2 S. 4 UmwStG ist daher im Wege der europarechtskonformen Interpretation als widerlegbare Vermutung auszulegen. Soweit dieser Ausdruck als unwiderlegbare Vermutung interpretiert wird (Rz. 203), verstößt dies gegen die FRL.
Rz. 165
Bedenken bestehen auch gegen die Veräußerungsfrist von 5 Jahren. Da es sich um eine typisierende Definition von Missbrauch handelt, ist zu fragen, ob man typisierend annehmen kann, dass eine Veräußerung innerhalb von 5 Jahren nach der Spaltung die Vermutung rechtfertigt, die Spaltung sei nur oder hauptsächlich zur Ermöglichung dieser Veräußerung durchgeführt worden. Das ist zu verneinen. Ein Zeitraum von 5 Jahren überschreitet jeden Planungshorizont für konkrete Veräußerungsprojekte. Die typisierende Missbrauchsannahme entbehrt damit der tatsächlichen Grundlage. M.E. kann eine typisierende Missbrauchsannahme nur auf einen Zeitraum von einem Jahr, maximal von 2 Jahren gestützt werden. Im Übrigen sind europarechtlich unwiderlegbare Missbrauchsvermutungen unzulässig. Zumindest muss dem Stpfl. die Möglichkeit eröffnet werden, einen Gegenbeweis zu erbringen.
Rz. 166
Dagegen ist die Grenze von 20 % der Anteile m. E. sachgerecht. Die Veräußerung von 20 % der Anteile stellt die Veräußerung eines substanziellen Teils einer Beteiligung dar und kann daher als Indiz für eine Missbrauchsabsicht gewertet werden. Allerdings ist europarechtlich auch insoweit eine unwiderlegbare Missbrauchsvermutung unzulässig. Daher muss auch bei der Grenze von 20 % dem Stpfl. die Möglichkeit des Gegenbeweises eröffnet werden.
4.3.5.3 Gemeinsame Tatbestandsmerkmale
4.3.5.3.1 Begriff der "Veräußerung" i. S. d. Abs. 2 S. 2–4
Rz. 167
Den Tatbeständen der S. 2–4 ist gemeinsam, dass eine "Veräußerung" vorliegen muss. Durch die Spaltung mu...