Buchwertfortführung bei Abspaltung
Hintergrund: Spaltung und Veräußerung
Zu entscheiden war, ob die Abspaltung einer 100%igen Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft gegen Gewährung von Anteilen zur Realisierung stiller Reserven führte.
In 2004 gliederte die GmbH 1 ihren Geschäftsbetrieb "X" in eine KG, deren Kommanditistin sie war, gegen die Gewährung von Anteilen aus. Parallel dazu gründete sie die GmbH 2 und legte die KG-Anteile zum Buchwert gegen die Gewährung von Anteilen in die GmbH 2 ein. Anschließend wuchs das Vermögen der KG ebenfalls zu Buchwerten der GmbH 2 im Wege der Anwachsung zu.
In 2007 vereinbarten die GmbH 1 bzw. ihre Anteilseigner mit einem potentiellen Erwerber des X-Geschäfts die Veräußerung sämtlicher Anteile an einer noch zu gründenden Gesellschaft (GmbH 3). In 2008 spaltete die GmbH 1 ihre 100%ige Beteiligung an der GmbH 2 auf die neu gegründete GmbH 3 gegen Gewährung von Anteilen ab.
Das FA und ihm folgend das FG versagten die Buchwertfortführung. Denn die Abspaltung habe allein dazu gedient, die Veräußerung an eine außenstehende Person vorzubereiten.
Entscheidung: Abspaltung zu Buchwerten
Der BFH widerspricht dem FA und dem FG. Die Revision führte zur Stattgabe der Klage. Die Buchwertfortführung scheitert nicht an der sog. Nachspaltungsveräußerungssperre des § 15 Abs. 2 Satz 3 UmwStG. Da die Voraussetzungen des Satzes 4 nicht vorliegen und § 42 AO a.F. neben den spezialgesetzlichen Missbrauchsverhinderungsvorschriften nicht anwendbar war, konnte die Abspaltung zu Buchwerten durchgeführt werden.
Streitfrage zur Anwendung von § 15 Abs. 2 Satz 3 UmwStG
Nach § 15 Abs. 2 Satz 2 UmwStG ist § 11 Abs. 2 UmwStG (Buchwertansatz) nicht anzuwenden, wenn durch die Spaltung die Veräußerung an außenstehende Personen vollzogen wird. Das Gleiche gilt nach Satz 3, wenn durch die Spaltung die Voraussetzungen für eine Veräußerung geschaffen werden. Davon ist nach Satz 4 auszugehen, wenn innerhalb von fünf Jahren nach dem steuerlichen Übertragungsstichtag Anteile an einer an der Spaltung beteiligten Körperschaft, die mehr als 20% der vor Wirksamwerden der Spaltung an der Körperschaft bestehenden Anteile ausmachen, veräußert werden. Hier stellt sich die Frage, ob § 15 Abs. 2 Satz 3 UmwStG als eigenständiger Ausschlussgrund zu bewerten ist, der unabhängig von Satz 4 Anwendung finden kann. Diese Rechtsfrage, wird unterschiedlich beantwortet:
- Zum Teil wird vertreten, Satz 3 sei nicht "leerläufig", sondern habe unabhängig von Satz 4 einen eigenen Anwendungsbereich. Satz 4 stelle lediglich eine Vermutung für das Vorliegen einer Veräußerungsabsicht auf, so dass bei nachweisbarer Veräußerungsabsicht eine Schädlichkeit auch unterhalb der 20 %-Schwelle des Satzes 4 angenommen werden könne.
- Die überwiegend vertretene Gegenauffassung geht demgegenüber davon aus, dass Satz 3 nur die Grundlage für die Vermutung des Satzes 4 regelt und keinen eigenständigen Anwendungsbereich hat, so dass es sich um eine einheitliche Missbrauchsvermeidungsregelung bestehend aus den Sätzen 3 und 4 handelt.
§ 15 Abs. 3 Satz 3 UmwStG ist kein eigenständiger Ausschlussgrund
Der BFH schließt sich der zweitgenannten Auffassung an. Dafür spricht zum einen der Wortlaut des § 15 Abs. 2 Satz 4 UmwStG ("Davon ist auszugehen, wenn ..."). Das legt nahe, dass Satz 3 ohne die weiteren Voraussetzungen des Satzes 4 keinen eigenen Anwendungsbereich hat. Die Bedeutung des Satzes 3 besteht darin, die dogmatische Grundlage für die in Satz 4 geregelte gesetzliche Vermutung zu bilden. Für diese Auslegung sprechen insbesondere auch die Entstehungsgeschichte und das Ziel der Regelung. § 15 Abs. 2 UmwStG soll missbräuchliche Gestaltungen aufgrund der Buchwertfortführung unterbinden. Die Buchwertfortführung soll in den Fällen ausgeschlossen werden, in denen die Steuerpflicht der Veräußerung dadurch umgangen wird, dass die Anteile der verbleibenden oder der aufnehmenden Körperschaft nach Abspaltung veräußert werden. Würde man demgegenüber dem Satz 3 einen eigenständigen Anwendungsbereich einräumen, würde dies zu der vom Gesetzgeber missbilligten und auch praktisch nur schwerlich durchführbaren Einbeziehung subjektiver Elemente führen. Unterhalb der Schwelle (5 Jahre, 20%) soll verlässlich kein Fall des Missbrauchs angenommen werden.
Im Streitfall kein Fall des § 15 Abs. 2 Satz 4 UmwStG
Im Streitfall fällt nicht unter § 15 Abs. 2 Satz 4 UmwStG. Die 20 %-Grenze wird nicht erreicht. Ein Rückgriff auf Satz 3 ist ausgeschossen. Damit war das anders lautende FG-Urteil aufzuheben und der Klage stattzugeben.
Keine Anwendung von § 42 AO a.F.
Der BFH hat es auch abgelehnt, § 15 Abs. 2 Satz 4 UmwStG unter Rückgriff auf § 42 AO (Fassung bis 2007) anzuwenden. Denn wenn der Gesetzgeber ein missbrauchsverdächtiges Feld durch eine Spezialvorschrift abgesteckt hat, dann hat er für diesen Bereich die Maßstäbe festgelegt und eine einheitliche Rechtsanwendung gesichert. Sind die Voraussetzungen der speziellen Missbrauchsverhinderungsbestimmung nicht erfüllt, darf die Wertung des Gesetzgebers nicht durch eine extensive Anwendung des § 42 Abs. 1 AO a.F. unterlaufen werden. § 42 Abs. 2 AO a.F. läuft dann leer (BFH v. 20.3.2002, I R 63/99, BStBl II 2003, 50).
Hinweis: Kein Gleichheitsverstoß
Nach der vom BFH vertretenen Auslegung haben im Ergebnis nur "spaltungsfähige Körperschaften" die Möglichkeit, die entsprechenden Vermögensbestandteile steuerfrei an einen Dritten zu veräußern. In dieser sich aus der Sache selbst ergebenden Folge der gesetzlichen Vorgaben kann keine Gleichheitswidrigkeit gesehen werden.
§ 42 AO in der Fassung ab 2008
Nach der zu § 42 AO a.F. vertretenen Auffassung des BFH verdrängen spezielle Missbrauchsnormen auch dann die Anwendung des § 42 AO, wenn nicht alle tatbestandlichen Voraussetzungen der speziellen Norm gegeben sind (Abschirmwirkung der Spezialnorm). An diesem Konkurrenzverhältnis zwischen spezieller Missbrauchsvorschrift und § 42 AO hat sich auch unter der Neufassung des § 42 AO ab 2008 im Kern nichts geändert. Die Wertungen spezieller Missbrauchsnormen bei der Prüfung des Angemessenen i.S.v. § 42 AO Abs. 2 AO n.F. sind zu berücksichtigen, unabhängig davon, ob die spezielle Missbrauchsvorschrift einschlägig ist oder nicht (BFH v. 17.11.2020, I R 2/18, BStBl II 2021, 580).
BFH Urteil vom 11.08.2021 - I R 39/18 (veröffentlicht am 13.01.2022)
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