Prof. Dr. Gerrit Frotscher
3.1.1 Wahlrecht für Buchwert-, Zwischenwert- und Teilwertansatz
Rz. 20
§ 11 regelt die steuerlichen Auswirkungen der Verschmelzung einer Körperschaft mit einer anderen Körperschaft sowie der Vermögensübertragung (Vollübertragung) zwischen Körperschaften für die übertragende Körperschaft. Dabei geht das Gesetz davon aus, dass diese Vermögensübergänge steuerneutral durch Fortführung der Buchwerte möglich sind, d. h., dass die übertragende Körperschaft die Teilwerte nicht aufdecken muss und daher kein Übertragungsgewinn entsteht (Abs. 1). § 11 sieht in Abs. 1 die Bewertung der übergehenden Wirtschaftsgüter mit den Werten vor, die sich nach den Regeln über die steuerliche Gewinnermittlung ergeben, also den Buchwerten. Die Fortführung der Buchwerte, und damit die steuerneutrale Behandlung der Verschmelzung, ist als gesetzlicher Regelfall nicht von einem Antrag abhängig.
Abs. 2 regelt dagegen die Fälle, in denen bei Vorliegen bestimmter Tatbestände abweichend vom Regelfall eine steuerneutrale Vermögensübertragung durch Verschmelzung nicht möglich ist, es also zum Teilwertansatz und damit zur Gewinnrealisierung kommt.
Rz. 21
Liegen die Voraussetzungen für eine steuerneutrale Verschmelzung vor, gewährt § 11 Abs. 1 S. 2 dem Steuerpflichtigen das Wahlrecht, statt des Buchwerts höhere Werte anzusetzen, höchstens jedoch die Teilwerte. Damit besteht das Wahlrecht zum Ansatz eines Zwischenwerts oder des Teilwerts (zur Abhängigkeit dieses Wahlrechts vom Maßgeblichkeitsgrundsatz vgl. Rz. 23). Umstritten ist, ob dieses Wahlrecht nur ein Bewertungswahlrecht ist, sich also nur auf die Bewertung der ohnehin bilanzierten Wirtschaftsgüter bezieht, oder ein Ansatz- und Bewertungswahlrecht, bei dem auch bisher nicht bilanzierte Wirtschaftsgüter zu bilanzieren sind, z. B. selbstgeschaffene immaterielle Wirtschaftsgüter.
M.E. handelt es sich nur um ein Bewertungswahlrecht, da § 11 schon seinem Wortlaut nach nur den Ansatz der Werte regelt, nicht aber die Bilanzierung dem Grunde nach. Es besteht also kein Wahlrecht für die Bilanzierung dem Grunde nach. Bedeutung hat dies für selbstgeschaffene immaterielle Wirtschaftsgüter einschließlich des Firmenwerts bei Zwischen- und Teilwertansatz. Sie dürfen nicht angesetzt werden, da sonst der Ansatz, nicht nur der Wert geändert würde (vgl. Rz. 49).
Rz. 22
Obwohl das Bewertungswahlrecht dem gesetzlichen Wortlaut nach sowohl für die Verschmelzung als auch für die Vermögensübertragung gilt, ist es auf Letztere nur in bestimmten Fällen anwendbar. Bei der Vermögensübertragung kann die Voraussetzung für die steuerneutrale Übertragung des Vermögens, dass die Gegenleistung nur in Gesellschaftsrechten besteht, nicht vorliegen. Möglich ist nur, dass überhaupt keine Gegenleistung gewährt wird, weil die Beteiligung an der übertragenden Körperschaft zu 100% bei der übernehmenden Körperschaft liegt. In allen anderen Fällen haben daher Teilwertansatz, Aufdeckung und Versteuerung der stillen Reserven zu erfolgen (vgl. Rz. 19ff.).
Rz. 23
Das Wahlrecht ist in der steuerlichen Übertragungsbilanz der übertragenden Körperschaft auszuüben (vgl. Rz. 9), d. h., in dieser Bilanz sind die (fortgeführten) Buchwerte, Teilwerte oder Zwischenwerte anzusetzen. Diese Bilanz ist eine Steuerbilanz, die auf den steuerlichen Übertragungsstichtag aufzustellen ist und steuerlichen Regeln folgt (vgl. auch § 2 Rz. 8).
Die Finanzverwaltung geht jedoch davon aus, dass auch für die Übertragungsbilanz der Grundsatz der Maßgeblichkeit der Handelsbilanz für die Steuerbilanz gilt. Handelsrechtlich gelten für die Verschmelzungsbilanz (Schlussbilanz des übertragenden Rechtsträgers) die Vorschriften über die Jahresbilanz entsprechend (vgl. § 17 Abs. 2 UmwG). Regelmäßig werden also die Buchwerte fortgeführt, soweit die §§ 238ff. HGB nicht etwas anderes vorsehen. Der Ansatz höherer Werte als der Buchwerte in der handelsrechtlichen Schlussbilanz ist daher die Ausnahme (vgl. Rz. 9). Bei Anwendung des Maßgeblichkeitsgrundsatzes bedeutet dies, dass steuerlich regelmäßig nur die Buchwertfortführung möglich ist; der Ansatz von Zwischenwerten oder der freiwillige Ansatz von Teilwerten wäre danach ausgeschlossen. Ein Teilwertansatz wäre danach nur möglich, wenn die besonderen steuerlichen Voraussetzungen für den Buchwertansatz fehlen würden, wenn entweder die spätere Besteuerung der stillen Reserven nicht sichergestellt wäre oder soweit eine andere Gegenleistung als Anteile gewährt wird. Im Ergebnis hätte der Steuerpflichtige kein Wahlrecht. Entsprechend der hier vertretenen Auffassung, dass der Maßgeblichkeitsgrundsatz bei der Verschmelzung nicht gilt (vgl. hierzu eingehend § 2 Rz. 11ff.), wird im Folgenden vom Bestehen des Wahlrechts ausgegangen. Das Wahlrecht hat zur Folge, dass bei Zwischen- oder Teilwertansatz die Wertansätze in der Steuerbilanz regelmäßig von denen in der Handelsbilanz abweichen werden. Diese Abweichungen haben ihre Rechtsgrundlage in § 11. Ebenso hat die Rechtsprechung entschieden Der Gesetzgeber habe ein steuerliches Wahlrecht eingeräumt. Daraus müsse geschlossen werden, dass der Grund...