Prof. Dr. Klaus-Dieter Drüen
Rz. 9
Einkommen- und Körperschaftsteuer sind Personensteuern (§ 1 EStG, § 1 KStG), die auf die Besteuerung der individuellen, wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des konkreten Steuersubjekts abzielen. Nach dem das Ertragsteuerrecht prägenden Individualprinzip (oder auch Steuersubjektprinzip) hat jedes Steuersubjekt sein eigenes Einkommen zu versteuern. Das Rechtsprinzip der Individualbesteuerung ist ein Subprinzip der Besteuerung nach dem Leistungsfähigkeitsprinzip, das der Konkretisierung des allgemeinen Gleichheitssatzes (Art. 3 Abs. 1 GG) dient und Grundlage einer gerechten Besteuerung der einzelnen Steuerpflichtigen sein soll. Stille Reserven sind nach dem Individualprinzip an das einzelne Steuersubjekt geknüpft, das sie gelegt hat. Sie unterliegen grundsätzlich im Zeitpunkt ihrer Realisierung (Veräußerung, etc.) der Besteuerung, wenngleich sie zumindest abstrakt die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit bereits vor ihrer Realisierung erhöhen. Der Steuerzugriff erfolgt indes erst bei mess- und fassbarer Realisation der stillen Reserven im Zeitpunkt der Steigerung auch der Zahlungsfähigkeit des Steuerpflichtigen. Das UmwStG löst die Prinzipienkollision zwischen verschiedenen Steuerrechtsprinzipien auf. Es sieht Ausnahmen vom Individualprinzip vor, indem es die Übertragung von Vermögen zu Buch- oder Zwischenwerten zulässt und somit die interpersonale Übertragung von stillen Reserven gestattet.
Rz. 10
Veränderte Rahmenbedingungen (u. a. gesellschaftsrechtlich, betriebswirtschaftlich, umweltbedingt oder durch Gesetzesänderungen) können ein Unternehmen dazu veranlassen, die wirtschaftliche Tätigkeit in einer anderen Rechtsform oder in einer anderen rechtlichen Struktur fortzuführen. Daneben können die sog. Umwandlungen von Unternehmen auch steuerrechtlich motiviert sein, z. B. infolge der unterschiedlichen steuerlichen Behandlung von Personen- und Kapitalgesellschaften (Transparenzprinzip vs. Trennungsprinzip). Umstrukturierungen von Unternehmen führen grundsätzlich zur Veräußerung bzw. Liquidation des Unternehmens unter Aufdeckung sämtlicher stiller Reserven und Besteuerung dieser auf Ebene des Steuerpflichtigen (sog. Entstrickungsbesteuerung durch Änderung des Besteuerungsregimes). In dem sich daran anschließenden Anschaffungsvorgang muss ein neues Unternehmen in gewünschter Rechtsform gegründet werden. Diese Vorgehensweise ist grundsätzlich mit hohem administrativem Aufwand verbunden. Neben den im EStG und KStG geregelten Ausnahmenormen von der Entstrickungsbesteuerung (siehe z. B. § 6 Abs. 3 und Abs. 5 EStG, § 12 Abs. 2 KStG) hat der Gesetzgeber hinsichtlich der Umwandlung eines Unternehmens Sonderregelungen geschaffen, die den Veräußerungs- und Anschaffungsvorgang fingieren, ohne dass ein Liquiditätsfluss stattfindet und eine steuerneutrale Umstrukturierung durch Aufschiebung der Besteuerung garantiert (Prinzip des Besteuerungsaufschubs), sofern die spätere Erfassung der stillen Reserven im Inland sichergestellt ist. Dies beruht auf der Erkenntnis, dass Umstrukturierungen die Erwerbsgrundlagen sichern oder verbessern und nicht auf die Erzielung von Einkommen gerichtet sind. Dies gelingt aber nur dann, wenn im Zuge der Umwandlung Vermögen gegen Gewährung von Gesellschaftsrechten und ohne finanzielle Gegenleistung übertragen wird, sodass das "Unternehmen" beim übernehmenden Rechtsträger fortgeführt werden kann. Dass die Umstrukturierung somit generell nicht auf die Erzielung von Einkommen gerichtet ist, bietet steuerrechtlich eine Rechtfertigung dafür, dass auf die Besteuerung der stillen Reserven im Umwandlungszeitpunkt verzichtet wird. Das UmwStG verfolgt damit insbesondere den Zweck, betriebswirtschaftlich sinnvolle Umstrukturierungen nicht durch steuerliche Folgen zu behindern. Der Besteuerungsaufschub endet bei Nichterfüllung der im UmwStG genannten Anforderungen. Somit wird schließlich die Besteuerung der stillen Reserven im Inland sichergestellt.