Joachim Moritz, Dr. Joachim Strohm
Rz. 353
§ 20 Abs. 6 EStG regelt die Verlustverrechnung bei den Einkünften aus Kapitalvermögen i. S. d. § 20 EStG. Die Vorschrift wurde mit dem Unternehmensteuerreformgesetz 2008 v. 14.8.2007 eingeführt und durch das Gesetz zur Anpassung des nationalen Steuerrechts an den Beitritt Kroatiens zur EU und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften (KroatienAnpG) v. 25.7.2014 teilweise geändert. Weitere Änderungen haben sich durch das Gesetz zur Einführung einer Pflicht zur Mitteilung grenzüberschreitender Steuergestaltungen v. 21.12.2019, das Jahressteuergesetz 2020 v. 21.12.2020 und das Jahressteuergesetz 2022 v. 16.12.2022 ergeben.
Rz. 354
8.1 Allgemeines
8.1.1 Systematik der Verlustverrechnung
8.1.1.1 Vorrang der Verlustverrechnung im Steuerabzugsverfahren
Rz. 355
Die Verlustverrechnung bei den Einkünften aus Kapitalvermögen i. S. d. § 20 EStG ist seit der Einführung der Abgeltungsteuer an unterschiedlichen Stellen des Gesetzes geregelt. Im Regelfall sollen Gewinne und Verluste bereits bei Einbehalt der KapESt durch die Kreditinstitute ausgeglichen werden. Regelungen hierfür finden sich in § 43a Abs. 3 S. 2 bis 6 EStG. Auf diese Weise sollen möglichst viele Steuerfälle bereits im Steuerabzugsverfahren zum Abschluss gebracht und Veranlagungen vermieden werden. Um dies zu erreichen, hat der Gesetzgeber im Rahmen des Unternehmensteuerreformgesetzes 2008 v. 14.8.2007 den Stückzinstopf i. S. d. § 43a Abs. 3 EStG a. F. erheblich ausgeweitet und in einen Verlustverrechnungstopf umgewandelt. Die Kreditinstitute sind seither nach § 43a Abs. 3 S. 2 EStG verpflichtet, im Kj. negative Kapitalerträge einschließlich gezahlter Stückzinsen bis zur Höhe der positiven Kapitalerträge auszugleichen. Ein Freistellungsauftrag i. S. d. § 44a Abs. 2 S. 1 Nr. 1 EStG wird in diesem Zusammenhang nur berücksichtigt, wenn nach der Verlustverrechnung noch positive Einkünfte verbleiben. Sofern Ehegatten einen gemeinsamen Freistellungsauftrag erteilt haben, erfolgt ein gemeinsamer Ausgleich. Die nicht ausgeglichenen Verluste müssen die Kreditinstitute nach § 43a Abs. 3 S. 3 EStG auf das nächste Kj. übertragen. Auf Verlangen des Gläubigers der Kapitalerträge sind die Kreditinstitute nach § 43a Abs. 3 S. 4 EStG verpflichtet, über die Höhe eines nicht ausgeglichenen Verlustes eine Bescheinigung nach amtlich vorgeschriebenem Muster auszustellen. In diesem Fall entfällt der Verlustübertrag. Der unwiderrufliche Antrag auf Erteilung einer Verlustbescheinigung muss den Kreditinstituten nach § 43a Abs. 3 S. 5 EStG bis zum 15.12. des laufenden Jahres zugehen. Überträgt der Gläubiger der Kapitalerträge seine im Depot befindlichen Wirtschaftsgüter vollständig auf ein anderes Depot, muss das abgebende Kreditinstitut dem aufnehmenden Kreditinstitut auf Verlangen des Gläubigers der Kapitalerträge nach § 43a Abs. 2 S. 6 EStG die Höhe des nicht ausgeglichenen Verlusts mitteilen. In diesem Fall darf keine Verlustbescheinigung ausgestellt werden.
Rz. 356
Eine Verlustverrechnung im Veranlagungsverfahren erfolgt bei den Einkünften aus Kapitalvermögen i. S. d. § 20 EStG nur noch im Ausnahmefall. Die Verlustverrechnung im Steuerabzugsverfahren ist insofern vorrangig. Von daher kann eine im Steuerabzugsverfahren durchgeführte Verrechnung von Gewinnen und Verlusten im Veranlagungsverfahren auch nicht mehr rückgängig gemacht werden. Regelungen zur Verlustverrechnung im Veranlagungsverfahren finden sich in § 20 Abs. 6 S. 1 bis 7 EStG, wobei der Sparer-Pauschbetrag i. S. d. § 20 Abs. 9 S. 1 EStG nur zu berücksichtigen ist, wenn nach der Verlustverrechnung noch positive Einkünfte verbleiben. Eine Verlustverrechnung in der Veranlagung erfolgt zunächst, wenn auf die angefallenen Verluste die Vorschriften zur KapESt keine Anwendung gefunden haben. In diesem Fall muss der Stpfl. die Verluste nach § 32d Abs. 3 EStG in der Steuererklärung angeben, wenn er deren steuermindernde Berücksichtigung erreichen will. Die Verlustverrechnung richtet sich dann nach § 20 Abs. 6 EStG. Weiterhin ist eine Verlustverrechnung nach § 20 Abs. 6 EStG trotz Einbehalt von KapESt durchzuführen, wenn der Stpfl. einen Antrag auf Veranlagung nach § 32d Abs. 4 EStG stellt. Erfasst sind vor allem Fälle, in denen Gewinne und Verluste bei unterschiedlichen Kreditinstituten anfallen, da eine institutsübergreifende Verlustverrechnung im Steuerabzugsverfahren nicht vorgesehen is...