3.1 Grund der Regelung
Rz. 14
Werden einem Arbeitnehmer Lohnersatzleistungen oder sonstige Sozialleistungen gewährt, sind diese, z. B. nach § 3 Nr. 2 EStG, steuerfrei (§ 3 Nr. 2 EStG Rz. 2ff.). Diese Steuerfreiheit führt, neben den in Rz. 1 geschilderten Wirkungen, zu besonderen lohnsteuerrechtlichen Konsequenzen, wenn der Arbeitnehmer in einem Teil des Jahres Leistungen (Lohnersatzleistungen) erhalten hat, in dem anderen aber Arbeitslohn bezieht. Bei dem Steuerabzug für den Arbeitslohn werden Jahresfrei- und Pauschbeträge nur zeitanteilig berücksichtigt, während bei einer nachfolgenden ESt-Veranlagung die vollen Jahresbeträge angesetzt werden und damit zu Steuererstattungen führen. Zusammen mit der Dämpfung der Progression durch die steuerfreien Lohnersatzleistungen könnte dies im Einzelfall dazu führen, dass die Lohnersatzleistungen zusammen mit dem zeitweise bezogenen Arbeitslohn über 100 % des bei durchgehender Beschäftigung bezogenen Netto-Arbeitsentgelts hinausgingen.
Um diese Wirkungen zu vermeiden, werden auch Lohnersatz- und Sozialleistungen dem Progressionsvorbehalt unterworfen. Die Regelung kann hierbei dazu führen, dass nicht nur keine Erstattung erfolgt, sondern Steuer nachzuzahlen ist (Rz. 79).
Die Regelung ist verfassungsgemäß, da die beabsichtigten Wirkungen – die Vermeidung ungerechtfertigter Vorteile – einen ausreichenden Grund für die Regelungen darstellen. Auch die Auswahl der in den Progressionsvorbehalt einbezogenen Lohnersatzleistungen beruht auf sachlichen Erwägungen und ist daher nicht verfassungswidrig. Entsprechend hat der BFH darauf hingewiesen, dass das BVerfG bereits entschieden hat, dass der Progressionsvorbehalt bei Lohnersatzleistungen verfassungsgemäß ist. Es sei daher verfassungsrechtlich unbedenklich, dass Stpfl., die neben stpfl. Einkünften Lohnersatzleistungen bezogen haben, bei gleichem zu versteuernden Einkommen eine höhere ESt zu leisten haben als Stpfl., die keine derartige Leistung bezogen haben. Die Regelung ist seit der Einführung im Jahr 1982 auf weitere Leistungen erweitert worden. Dem Progressionsvorbehalt unterliegen damit nicht nur Lohn-, sondern auch Einkommensersatzleistungen.
Rz. 15
Die Regelung des § 32b Abs. 1 S. 1 Nr. 1 EStG ist konstitutiv in dem Sinne, dass ausschließlich die dort genannten Lohn- und Einnahmeersatzleistungen dem Progressionsvorbehalt unterliegen. Die Vorschrift enthält insbesondere keine allgemeine Regelung, dass alle Leistungen durch den Progressionsvorbehalt erfasst werden. Soweit Einnahmen daher nicht in § 32b Abs. 1 S. 1 Nr. 1 EStG genannt sind, unterliegen sie nicht dem Progressionsvorbehalt, auch wenn sie steuerfrei sind.
3.2 Dem Progressionsvorbehalt unterliegende Ersatzleistungen
Rz. 16
In den Progressionsvorbehalt werden nach der aktuellen Gesetzeslage folgende Lohnersatzleistungen einbezogen:
Nach § 32b Abs. 1 S. 1 Nr. 1 Buchst. a) EStG
- Arbeitslosengeld (§§ 136ff. SGB III): Es beträgt 60 %, bei Vorhandensein von Kindern 67 % des um die gesetzlichen Abzüge, die bei Arbeitnehmern gewöhnlich anfallen, verminderten Arbeitsentgelts (§ 149 SGB III). Als gewöhnlich anfallende gesetzliche Abzüge sind LSt, KiSt, Arbeitnehmeranteil zur gesetzlichen Kranken- und Rentenversicherung abzusetzen. Das Arbeitslosengeld wird, je nach der Dauer der Beitragspflicht und dem Alter, für 6 bis 24 Monate gewährt (§ 147 SGB III). Das Arbeitslosengeld II wird hingegen nicht mit in den Progressionsvorbehalt einbezogen. Rückzahlung von Arbeitslosengeld führt zu einem negativen Progressionsvorbehalt.
- Teilarbeitslosengeld (§ 162 SGB III): Dieses wird gezahlt, wenn der Stpfl. mehrere Beschäftigungen nebeneinander ausübt und eine von diesen verloren geht.
- Kurzarbeitergeld (§§ 95ff. SGB III): Es wird gezahlt, um bei dem Arbeitnehmer Lohnausfall infolge Kurzarbeit auszugleichen. Dem Arbeitnehmer werden 60 %, bei Vorhandensein von Kindern 67 % des entgangenen Nettoarbeitsentgelts erstattet. Kurzarbeitergeld wird grundsätzlich für 12 Monate gewährt (§ 3 Nr. 2 EStG Rz. 2ff.). Bedingt durch die wirtschaftlichen Auswirkungen der Corona-Pandemie wurde die Bezugsdauer unter bestimmten Voraussetzungen zeitweilig verlängert. Zum Heimarbeiterkurzarbeitergeld vgl. § 103 SGB III. Dieses unterliegt ebenfalls dem Progressionsvorbehalt.
- Insolvenz...