3.3.1 Allgemeines
Rz. 8
Nach § 38 AO entstehen die Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis, sobald der Tatbestand verwirklicht ist, an den das jeweilige Einzelsteuergesetz die Leistungspflicht knüpft. Der Tatbestand, an dessen Verwirklichung das EStG die Leistungspflicht knüpft, ist das Erzielen von Einkünften i. S. d. § 2 Abs. 1 und 2 EStG und demgemäß das Beziehen von Einkommen in einem bestimmten Zeitraum, dem Vz. Die Bemessungsgrundlage für die tarifliche ESt bildet das zu versteuernde Einkommen (§ 2 Abs. 5 EStG).
3.3.2 Entstehungszeitpunkt der Einkommensteuer
3.3.2.1 Allgemeines
Rz. 9
§ 36 Abs. 1 EStG bestimmt als Entstehungszeitpunkt der ESt den Ablauf des Vz. Vz ist das Kj. (§ 25 Abs. 1 EStG).
Die ESt ist eine Jahressteuer. Die Grundlage für ihre Festsetzung (das zu versteuernde Einkommen) ist jeweils für ein Kj. zu ermitteln (§ 2 Abs. 7 S. 1 und 2 EStG; § 2 EStG Rz. 101ff.).
Rz. 10
Hat die Steuerpflicht nicht während des vollen Vz bestanden, so wird das während der Dauer der Steuerpflicht bezogene Einkommen zugrunde gelegt. Das Einkommen wird in diesem Fall nicht etwa auf einen Jahresbetrag umgerechnet.
3.3.2.2 Entstehungszeitpunkt bei Fortfall der Steuerpflicht
Rz. 11
Fällt die Steuerpflicht im Laufe des Kj. fort, z. B. durch Tod oder wegen Wohnsitzverlegung in das Ausland, kann die Veranlagung in solchen Fällen erst nach Ablauf des Vz vorgenommen werden.
Die ESt entsteht deshalb auch bei Fortfall der Steuerpflicht während des Kj. erst mit Ablauf des Vz.
3.3.2.3 Entstehungszeitpunkt bei Wechsel der Steuerpflicht während des Veranlagungszeitraums
Rz. 12
Wechselt im Laufe eines Kj. die unbeschränkte Steuerpflicht zur beschr. Steuerpflicht oder umgekehrt, so sind mit Wirkung ab Vz 1996 die während der beschr. Steuerpflicht erzielten inländischen Einkünfte in eine Veranlagung nach den für unbeschränkt Stpfl. geltenden Vorschriften einzubeziehen (§ 2 Abs. 7 S. 3 EStG). Dadurch entfällt insoweit die Abgeltungswirkung des § 50 Abs. 2 EStG. Die während des Zeitraums der beschr. Steuerpflicht erzielten ausl. Einkünfte, die in diesem Vz nicht der deutschen ESt unterlegen haben, werden bei der Veranlagung nach § 32b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 i. V. m. Abs. 2 S. 1 Nr. 2 EStG im Wege des Progressionsvorbehalts berücksichtigt (§ 2 EStG Rz. 5 und 100; zur alleinigen Zuständigkeit des Wohnsitz-FA nach § 36 Abs. 2 Nr. 2 S. 5 EStG Rz. 71).
Entstehungszeitpunkt der ESt ist der Ablauf des Vz.
3.3.3 Entstehung und Festsetzung der Einkommensteuer
Rz. 13
Von der Entstehung der ESt zu unterscheiden sind
- die Festsetzung der ESt durch Steuerbescheid (§§ 155 bis 192 AO),
- die Fälligkeit des Steueranspruchs (§ 220 AO) und
- die Verwirklichung des Steueranspruchs im Erhebungsverfahren (§§ 218 bis 248 AO).
Rz. 14
Die ESt entsteht unabhängig von ihrer Festsetzung dem Grunde nach mit Ablauf des Vz – gleich, in welcher Höhe sie unter Berücksichtigung der Tarifvorschriften und evtl. Steuerermäßigungen bei der Veranlagung festzusetzen bzw. wann sie fällig ist.
Rz. 15
Die ESt entsteht kraft Gesetzes durch Verwirklichung des Steuertatbestands, unabhängig vom Wissen und Wollen des Stpfl. Ein einmal verwirklichter Sachverhalt kann rückwirkend nicht mehr rückgängig gemacht werden.
Nach dem Entstehungszeitpunkt kann der Stpfl. die Höhe der festzusetzenden ESt nur noch beeinflussen, soweit er die Möglichkeit hat, Bilanzierungs- oder andere Wahlrechte, z. B. die Zusammenveranlagung von Eheleuten (§§ 26, 26b EStG), wahrzunehmen.
Nach dem Entstehungszeitpunkt eintretende Änderungen der Sach- oder Rechtslage wirken sich auf die entstandene ESt nicht aus. Die ESt wird nach der Rechtslage erhoben, die zum Zeitpunkt ihrer Entstehung gegolten hat – es sei denn, ein Gesetz tritt rückwirkend in Kraft.
Rz. 16
Der Steuerbescheid hat lediglich deklaratorische Bedeutung. Er konkretisiert die bereits durch Gesetz entstandene Steuerschuld.
Der Steuerbescheid hat aber dann (und insoweit) konstitutive Wirkung, wenn die ESt unrichtigerweise höher festgesetzt wird, als sie tatsächlich nach dem Gesetz entstanden ist und der Steuerbescheid in Bestandskraft erwächst. In einem solchen Fall ist die ESt (nach dem Gesetz) zwar nicht in der im Steuerbescheid festgesetzten Höhe entstanden, die Finanzbehörde erwirbt jedoch ein formales Erhebungs- und Vollstreckungsrecht, wenn der Steuerbescheid bestandskräftig wird. Der Stpfl. hat dann den im Steuerbescheid ausgewiesenen Betrag zu leisten, unabhängig davon, in welcher Höhe ein Steueranspruch nach dem EStG tatsächlich entstanden ist.
Rz. 17
Die Festsetzung der ESt durch Steuerbescheid ist Voraussetzung für die Verwirklichung des Steueranspruchs im Erhebungsverfahren.
3.3.4 Bedeutung des Entstehungszeitpunkts der Einkommensteuer
Rz. 18
Der Zeitpunkt der Entstehung der ESt ist u. a. von Bedeutung für eine Reihe abgabenrechtlicher Vorschriften, z. B.
- für den Übergang von Forderungen und Schulden aus dem Steuerschuldverhältnis auf den Rechtsnachfolger bei Gesamtrechtsnachfolge (§ 45 AO),
- für die Abtretung, Verpfändung und Pfändung von Ansprüchen auf Erstattung von Steuern, Haftungsbeträgen oder Steuervergütungen (§ 46 AO; Rz. 92),
- für die vertraglich übernommene Haftung (§§ 48, 192 AO),
- für die Haftung der Ver...