Prof. Dr. Gerrit Frotscher, Prof. Dr. Christoph Watrin
6.3.2.4.1 Zur Systematik des Tatbestands
Rz. 373
Tatbestandsvoraussetzung ist, dass das Besteuerungsrecht der Bundesrepublik hinsichtlich des Gewinns aus der Veräußerung des Wirtschaftsguts ausgeschlossen oder beschränkt wird.
Rz. 373a
Das Gesetz enthält keinen Anhaltspunkt, dass das Besteuerungsrecht auf eine bestimmte Weise ausgeschlossen oder beschränkt werden muss. Damit bezieht sich der Tatbestand ausschließlich auf eine Rechtsfolge, die durch bestimmte Ereignisse hervorgerufen wird, nämlich die Rechtsfolge des Ausschlusses oder der Beschränkung des Besteuerungsrechts. Systematisch ist bemerkenswert, dass die Rechtsfolge eines steuerrechtlich relevanten Vorgangs zum Tatbestand eines Gewinnrealisierungstatbestands gemacht wird.
Rz. 373b
Wodurch das deutsche Besteuerungsrecht ausgeschlossen oder beschränkt wird, ist somit unbeachtlich. Anders als bei dem Tatbestand der Entnahme braucht der Ausschluss oder die Beschränkung des Besteuerungsrechts nicht auf einer Handlung des Stpfl. zu beruhen. Es ist auch unbeachtlich, ob die Entstrickung mit oder gegen den Willen des Stpfl. erfolgt. Es sind daher weder eine "Entstrickungshandlung" noch ein "Entstrickungswille" des Stpfl. erforderlich. So genügt für die "Entstrickung" etwa der Abschluss eines DBA. Allerdings kann an der steuerpolitischen Rechtfertigung einer nicht an einer Handlung des Stpfl. anknüpfenden Besteuerung gezweifelt werden.
Rz. 373c
Regelmäßig tritt ein Ausschluss oder eine Beschränkung des Besteuerungsrechts ein, wenn ein betrieblich genutztes Wirtschaftsgut in das Ausland überführt wird. Der Tatbestand der Entstrickung ist aber nicht auf diese Fälle beschränkt; er kann auch eingreifen, ohne dass ein Wirtschaftsgut überführt wird.
6.3.2.4.2 Überführung eines Wirtschaftsguts
Rz. 374
Der Ausschluss oder die Beschränkung des deutschen Besteuerungsrechts tritt in den praktisch wichtigsten Fällen ein, wenn ein Wirtschaftsgut in das Ausland überführt wird. Dabei kann es sich um eine Überführung vom inländischen Stammhaus in eine ausländische Betriebsstätte (unbeschränkte Steuerpflicht) oder von einer inländischen Betriebsstätte in das ausländische Stammhaus oder eine andere ausländische Betriebsstätte (beschränkte Steuerpflicht) handeln.
Rz. 374a
Die Überführung eines Wirtschaftsguts erfolgt regelmäßig in eine im Ausland belegene Betriebsstätte. Das Gesetz sagt das zwar nicht ausdrücklich, doch sind kaum andere Fälle denkbar. Wenn im Ausland noch keine Betriebsstätte besteht, wird durch die Überführung des Wirtschaftsguts, das ja Betriebsvermögen ist, regelmäßig eine Betriebsstätte begründet, sodass dieses Wirtschaftsgut dann zu einer "festen Geschäftseinrichtung" gehört. Im Folgenden wird daher für diese Fälle (vereinfachend) von der "Überführung in eine Betriebsstätte" gesprochen.
Rz. 375
Es ist bezweifelt worden, ob die Überführung eines Wirtschaftsguts in das Ausland überhaupt zu einem Ausschluss oder einer Beschränkung des deutschen Besteuerungsrechts führen kann. Nach dieser Ansicht behält die Bundesrepublik das Besteuerungsrecht hinsichtlich der in dem überführten Wirtschaftsgut ruhenden stillen Reserven und kann es bei einer späteren Veräußerung des Wirtschaftsguts geltend machen. Der BFH hat sich dieser Ansicht für die Rechtslage vor Inkrafttreten des § 4 Abs. 1 S. 3 EStG angeschlossen und die "finale Entnahmetheorie" daher aufgegeben. Die Verwaltung will das Urteil jedoch nicht anwenden.
Rz. 375a
Aus der für die Zeit vor Inkrafttreten des § 4 Abs. 1 S. 3 EStG ergangenen Rechtsprechung wird überwiegend geschlossen, dass der Entstrickungstatbestand des § 4 Abs. 1 S. 3 EStG ins Leere geht. Der BFH selbst hat diese Ansicht nicht definitiv vertreten, sondern stellt ausdrücklich auf die "maßgebliche Rechtslage vor Inkrafttreten des § 4 Abs. 1 S. 3 EStG" ab. Allerdings äußert der BFH die Ansicht, bei Überführung eines Wirtschaftsguts in eine ausländische Betriebsstätte bleibe das deutsche Besteuerungsrecht für die bis zu diesem Zeitpunkt entstandenen stillen Reserven erhalten, so definitiv, dass kaum zu sehen ist, wie er bezüglich § 4 Abs. 1 S. 3 EStG zu einer anderen Auslegung kommen sollte. Denkbar wäre allenfalls, aufgrund der Gesetzesmaterialien und daran anknüpfend einer teleologischen Auslegung zu dem Ergebnis zu kommen, dass der Gesetzgeber wegen einer abstrakten Gefährdung und Erschwerung der Durchsetzung des deutschen Besteuerungsrechts in den Fällen der Überführung des Wirtschaftsguts in eine ausländische Betriebsstätte zu einer Besteuerung kommen wollte. Allerdings gibt der Gesetzestext selbst kaum Anhaltspunkte für eine solche Auslegung, weshalb sich der BFH von der Theorie der finalen Entnahme abgewandt hat.
Rz. 375b
Die Entscheidung des BFH ist zu einem DBA-Fall ergange...