Dr. Matthias Geurts, Dr. Hans Joachim Herrmann
Rz. 67
Eine Inanspruchnahme des Arbeitgebers als Haftenden anstelle des Arbeitnehmers als Steuerschuldner ist stets dann gerechtfertigt, wenn der Arbeitgeber die LSt zwar einbehalten, aber nicht abgeführt hat. Denn eine Heranziehung des Arbeitnehmers kommt in diesen Fällen nach § 42d Abs. 3 Nr. 2 EStG nur ausnahmsweise bei Kenntnis des Arbeitnehmers von diesem Sachverhalt in Betracht (Rz. 52). Für nicht einbehaltene LSt kann das FA den Arbeitgeber regelmäßig vorrangig heranziehen, wenn er den Einbehalt vorsätzlich oder grob fahrlässig unterlassen hat.
Rz. 68
Auch eine einfache Fahrlässigkeit des Arbeitgebers beim Unterlassen eines Einbehalts von LSt rechtfertigt i. d. R. seine vorrangige Haftungsinanspruchnahme. Z. B. ist eine vorrangige Inanspruchnahme des Arbeitgebers dann nicht unbillig, wenn er die Einbehaltung von LSt in einem rechtlich einfach und eindeutig liegenden Fall nur deshalb unterlassen hat, weil er sich über seine Verpflichtung nicht hinreichend unterrichtet hat.
Rz. 69
Eine vorrangige Inanspruchnahme des Arbeitgebers ist zur Vereinfachung des Verfahrens zulässig, wenn nach einer LSt-Außenprüfung viele LSt-Beträge aufgrund im Wesentlichen gleichliegender Sachverhalte nachzuerheben sind. Eine Vielzahl von Nacherhebungsfällen ist jedenfalls dann gegeben, wenn von einer LSt-Nacherhebung mehr als 40 Arbeitnehmer betroffen sind. Dagegen kann der Arbeitgeber allerdings bis zum Abschluss des Einspruchsverfahrens einwenden, das FA solle zunächst über Kontrollmitteilungen versuchen, die LSt bei den Arbeitnehmern zu erheben, da diese ohnehin zu veranlagen seien. Dabei muss der Arbeitgeber das für den einzelnen Arbeitnehmer zuständige FA bezeichnen und darlegen, dass für diesen die Jahressteuerfestsetzung noch aussteht.
Rz. 70
Eine Haftungsinanspruchnahme eines Arbeitgebers zu einem Durchschnittssatz ist dann zulässig, wenn dieser keine Aufzeichnungen darüber führt, welchen Arbeitnehmern er lohnsteuerpflichtige Vorteile zugewendet hat, und wenn nicht nachträglich ermittelt werden kann, welche Arbeitnehmer diese Vorteile erhalten haben.
Rz. 71
Schließlich ist auch bei einer wirksamen Nettolohnvereinbarung eine vorrangige Inanspruchnahme des Arbeitgebers ermessensgerecht. Unter einer Nettolohnvereinbarung ist eine Abrede zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer dahingehend zu verstehen, dass der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer zusätzlichen Lohn zuwendet, indem er auch die im LSt-Abzugsverfahren zu erhebende LSt übernimmt. Die vom Arbeitgeber aufgrund dessen gezahlte LSt ist als zusätzlicher Arbeitslohn auf einen Bruttobetrag hochzurechnen. Der Abschluss einer Nettolohnvereinbarung muss wegen ihrer Außergewöhnlichkeit klar und eindeutig feststellbar sein. Wer sich auf den Abschluss einer Nettolohnvereinbarung beruft, hat eine erhöhte Nachweispflicht hinsichtlich des Abschlusses und des Inhalts. Der Arbeitnehmer darf in einem solchen Fall nur dann von einem vorschriftsmäßigen LSt-Einbehalt ausgehen, wenn er dem Arbeitgeber die für den LSt-Regelabzug erforderlichen Informationen (zwecks Abruf der ELStAM seitens des Arbeitgebers beim BZSt) mitgeteilt hat. Denn mit Auszahlung des Nettobetrags ist die LSt vorschriftsmäßig einbehalten. Ihre Abführung ist Sache des Arbeitgebers. Das muss auch dann gelten, wenn der Arbeitnehmer weiß, dass der Arbeitgeber die LSt nicht abgeführt hat. Denn § 42d Abs. 3 S. 4 Nr. 2 EStG schafft nur eine Haftung des Arbeitnehmers für die Erfüllung der Abführungspflicht durch den Arbeitgeber kraft Mitwisserschaft (Rz. 52).
Rz. 71a
Zweckmäßigkeitsgesichtspunkte sind nur ein Ermessenskriterium für eine vorrangige Inanspruchnahme des Arbeitgebers. Dieser Gesichtspunkt reicht bei einem schuldlosen Verhalten des Arbeitgebers für seine vorrangige Inanspruchnahme nicht aus, insbesondere wenn er für namentlich und anschriftenmäßig bekannte Arbeitnehmer herangezogen werden soll.