16.2.1 Allgemein
Rz. 83
§ 45b Abs. 10 S. 1 EStG enthält nach dem klaren Wortlaut ("Das BZSt speichert […]") keine Befugnis zur Speicherung und Analyse (also kein "kann"), sondern ein klares Gebot (ein "hat" zu speichern). Darauf folgt, dass das BZSt ab Anwendbarkeit des § 45b Abs. 10 EStG, d. h. für Kapitalerträge, die dem Gläubiger nach dem 31. Dezember 2024 zufließen. die Daten speichern und analysieren muss.
§ 45b Abs. 10 S. 1 EStG bezieht sich nach dem ausdrücklichen Wortlaut zudem nur auf die nach "§ 45b Abs. 4 bis 6 und Abs. 9 EStG" übermittelten und folgenden aufgeführten Daten:
- Meldepflicht über die Steuerbescheinigungen (Abs. 4 i. V. m. § 93c AO),
- Meldepflicht für beschränkt Stpfl. statt der Ausstellung einer Steuerbescheinigung (Abs. 5),
- ergänzende Meldungen für nicht ausgestellte Steuerbescheinigungen bzw. nicht übermittelte Angaben und für die Abstandnahme vom Steuerabzug (§ 45b Abs. 6 EStG) und
- Meldepflicht der börsennotierten Gesellschaften (§ 45b Abs. 9 EStG i. V. m. § 67d AktG).
16.2.2 Zweckbindungen
Rz. 84
Die Vorschrift enthält zwei Zweckbindungen: Zum einen ist die Speicherung nur erlaubt, soweit diese zur Ermittlung der auf die Kapitalerträge einbehaltenen und abgeführten KapESt notwendig ist. Die Zweckbindung hinsichtlich der "Ermittlung" ist sehr weit gefasst. Zudem ist die Analyse der Daten dagegen nur zulässig "im Hinblick auf missbräuchliche Steuergestaltungsmodelle, die die Erlangung eines Steuervorteils aus der Erhebung oder Entlastung von KapESt mit erheblicher Bedeutung zum Gegenstand haben". Diese Zweckbestimmungen sind ausweislich der Begründung des AbzStEntModG solche i. S.v: Art. 6 Abs. 3 DS-GVO und ergänzen die nach § 29b Abs. 1 AO bestehende Befugnis der Finanzbehörden zur Verarbeitung personenbezogener Daten zur Festsetzung und Erhebung/Erstattung von Steuern und Steuervergütungen (§ 88 AO). Demzufolge dürfen die nach § 45b Abs. 5 EStG übermittelten Daten durch das BZSt und die Finanzämter nicht nur im Rahmen der Entlastungsverfahren, insbes. nach § 50c und § 36 Abs. 2 Nr. 2 S. 2 EStG verarbeitet werden, sondern – zusammen mit den nach § 45b Abs. 4 und 6 EStG übermittelten Daten – auch für die vorgenannten Analysezwecke. Die Zulässigkeit einer (zweckändernden) Weiterverarbeitung der nach § 45b Abs. 4 bis 6 EStG übermittelten personenbezogenen Daten nach Maßgabe des § 29c AO bleibt unberührt.
Die Formulierung "Erlangung eines Steuervorteils aus der Erhebung oder Entlastung von KapESt mit erheblicher Bedeutung" in § 45b Abs. 10 S. 1 EStG deutet darauf hin, dass zunächst Kleinbeträge einer KapESt nicht Gegenstand einer zulässigen Analyse durch das BZSt sein dürfen. Der Wortlaut "Erhebung oder Entlastung von KapESt mit erheblicher Bedeutung" wird zudem in § 88c Abs. 1 S. 1 AO (" Informationsaustausch über kapitalmarktbezogene Gestaltungen") und in Bezug auf Steuerverkürzungen auch in § 88b Abs. 1 Nr. 3 AO (Länderübergreifender Abruf und Verwendung von Daten zur Verhütung, Ermittlung und Verfolgung von Steuerverkürzungen) verwendet. Eine Definition des Begriffs enthält § 88c Abs. 1 S. 2 AO. Nach § 88c Abs. 1 S. 2 AO ist für die Beurteilung der "erheblichen Bedeutung" insbes. die Höhe des erlangten Steuervorteils und die Möglichkeit der Nutzung der Gestaltung durch andere Schuldner der KapESt zu berücksichtigen. Zu Höhe werden in der Begründung des AbzStEntModG keine Hinweise gegeben. Für die Formulierung "Möglichkeit der Nutzung der Gestaltung durch andere Schuldner der KapESt" ist von Bedeutung, dass § 88c AO ausweislich der Begründung des AbzStEntModG v. 2.6.2021 der zielgerichteten Aufdeckung von missbräuchlichen Gestaltungen bei Aktiengeschäften um den Dividendenstichtag dient.
Rz. 84a
Ebenso sollen andere Steuergestaltungen erkannt werden, die auf die Erlangung unrechtmäßiger Steuervorteile abzielen, die sich aus der Erhebung oder Entlastung von KapESt ergeben. Durch eine Analyse der von den örtlichen Finanzbehörden mitgeteilten Steuergestaltungen sollen durch § 88c AO frühzeitig Erkenntnisse über Sachverhalte gewonnen und diese in Form einer Rückmeldung an die Finanzbehörden auch zwecks Veranlagung unterstützend eingesetzt werden. Ob eine steuerliche Gestaltung modellhaften Charakter i. S. d. § 45b Abs. 10 S. 1 EStG oder i. S. d. § 88c Abs. 1 S. 1 AO hat, zeigt sich bei komplexen Sachverhalten ausweislich der Begründung des AbzStEntModG erst durch die Zusammenführung verschiedener Informationen aus unterschiedlichen Quellen. Allein aufgrund der begrenzten Anzahl an Sachverhalten im jeweiligen Zuständigkeitsbereich eines einzelnen FA kann es sein, dass ein entsprechender Überblick auf Ebene der örtlichen Finanzbehörden nicht immer vorliegt. § 88c Abs. 1 AO ( "Informationsaustausch über kapitalmarktbezogene Gestaltungen") regelt daher, dass Finanzbehörden Tatsachen, die auf bestimmte kapitalmarktbezogene Steuergestaltungen hinweisen – im Einvernehmen mit der zuständigen obersten Finanzbehörde (BZSt) mitteilen. Erst diese Zusammenführung von Informationen einzelner Finanzbehörden gewährleistet eine umfass...