6.1 Verfassungsrecht
Rz. 104
Bedenken bestehen gegenüber der Verfassungsmäßigkeit von § 4j EStG. Die Beschränkung des Betriebsausgabenabzugs nach § 4j EStG stellt eine Verletzung des objektiven Nettoprinzips als Ausprägung des Leistungsfähigkeitsprinzips dar und kann daher potenziell einen Eingriff in den Schutzbereich des Art. 3 Abs. 1 GG begründen. Nach dem objektiven Nettoprinzip darf nur das (Netto-)Einkommen als Saldo aus Einnahmen und damit zusammenhängenden Ausgaben besteuert werden.
Rz. 105
Die Durchbrechung des objektiven Nettoprinzips muss durch besondere sachliche Gründe ausreichend gerechtfertigt sein. Als Rechtfertigungsgründe kommen außerfiskalische Förderungs- und Lenkungszwecke sowie Vereinfachungs- und Typisierungszwecke in Betracht. Mithin wird das Vorliegen sachlicher Rechtfertigungsgründe weitestgehend verneint.
Rz. 106
Diskutiert wird insbesondere, ob das (Teil-)Abzugsverbot nach § 4j EStG mit dem Zweck der Missbrauchsabwehr gerechtfertigt werden könne und inwiefern § 4j EStG die verfassungsrechtlichen Anforderungen an eine Missbrauchstypisierung erfülle.
Eine verfassungsrechtliche Einordnung von § 4j EStG kann sich diesbezüglich mitunter an der verfassungsrechtlichen Würdigung der Zinsschranke gem. § 4h EStG durch den BFH orientieren, in denen der BFH die Frage der Verfassungsmäßigkeit von § 4h EStG letztlich dem BVerfG zur Prüfung vorgelegt hat. Ähnlich wie das (Teil-)Abzugsverbot für Lizenzaufwendungen nach § 4j EStG beschränkt § 4h EStG den Abzug von Zinsaufwendungen. Im Gegensatz zu § 4j EStG kann der nicht abziehbare Teil der Zinsaufwendungen nach § 4h EStG jedoch in zukünftige Vz vorgetragen werden kann, weshalb die Verletzung des objektiven Nettoprinzips durch § 4j EStG in Hinblick auf die Totalperiode vergleichsweise stärker ausfallen kann. In Abgrenzung zur Kritik des BFH an § 4h EStG wird etwa vorgebracht, § 4j EStG könnte insofern die Anforderungen an eine zielgenaue Missbrauchstypisierung erfüllen, als lediglich grenzüberschreitende Lizenzzahlungen in Staaten mit (schädlicher) Lizenzbox-Regelung erfolgen. Allerdings wird die Zielgenauigkeit von § 4j EStG weiter hinterfragt, sofern durch die Norm auch Lizenzzahlungen erfasst werden, die erkennbar kein Missbrauchspotenzial aufweisen.
Rz. 107
Eine Rechtfertigung des Verstoßes gegen das objektive Nettoprinzip mit dem Argument der Missbrauchsabwehr könnte auch aufgrund der pauschalen Anknüpfung an das ausl. Steuerrecht und der fehlenden Berücksichtigung der tatsächlichen Geschäftstätigkeit des ausl. Gläubigers der Lizenzzahlungen als Substanzerfordernis zweifelhaft erscheinen. Hierdurch werden auch Fälle erfasst, in denen nachweislich keine missbräuchliche Nutzung eines Präferenzsystems vorliegt, sondern tatsächlich FuE-Tätigkeiten und entsprechende Ausgaben im ausl. Staat anfallen. Erschwerend kommt hinzu, dass durch § 4j EStG keine Exkulpationsmöglichkeit des Stpfl. durch Nachweis der Erfüllung von Substanzanforderungen im Ausland besteht.
Rz. 108
Vorgebracht wird zudem, § 4j EStG verfolge keinen zulässigen Missbrauchsbekämpfungszweck, soweit § 4j EStG den Betriebsausgabenabzug von der Besteuerung beim ausl. Gläubiger der Lizenzzahlung abhängig mache und somit ausl. Steuersubstrat im Wege einer abschöpfenden Ersatzbesteuerung erfasst werde. Der reine Fiskalzweck zur Deckung des staatlichen Finanzbedarfs kann eine Durchbrechung des objektiven Nettoprinzips nicht rechtfertigen. Die Rechtfertigung von § 4j EStG durch einen qualifizierten Fiskalzweck zur Verstetigung des Steueraufkommens oder zur Vermeidung unkalkulierbarer Steuerausfälle erscheint zudem nicht naheliegend.
Rz. 109
§ 4j EStG beschränkt zudem den steuermindernden Abzug von Lizenzaufwendungen beim Schuldner der Lizenzzahlungen, wenn bei einem anderen Steuersubjekt die korrespondierenden Lizenzeinnahmen niedrig besteuert werden, wodurch, im Falle von Kapitalgesellschaften, gegen das Trennungsprinzip verstoßen wird.
Rz. 109a
Der in § 4j Abs. 1 S. 4 EStG enthaltene Verweis auf Kapitel 4 des Abschlussberichts 2015 zu Aktionspunkt 5, OECD (2016) "Wirksamere Bekämpfung schädlicher Steuerpraktiken unter Berücksichtigung von Transparenz und Substanz", OECD/G20 Projekt Gewinnverkürzung und Gewinnverlagerung, wird vor dem Hintergrund des verfassungsrechtlich geforderten Bestimmtheitsgebot kritisch gesehen.