Dr. Dino Höppner, Prof. Dr. Gerrit Frotscher
Rz. 33
Das Bilanzrecht in den §§ 238ff. HGB ist wesentlich durch die Bilanzrichtlinie (4. EG-Richtlinie) v. 25.7.1978, 78/660/EWG (AblEG L 222/11) beeinflusst. Die 4. Richtlinie gilt für die Rechnungslegung der AG, KGaA und der GmbH. Durch die 11. Richtlinie v. 21.12.1989 wurde die Geltung auf Zweigniederlassungen, durch Richtlinie 86/635/EWG v. 8.12.1986 sowie Richtlinie 89/117/EWG v. 13.2.1989 auf Banken und andere Finanzinstitute und ihre Zweigniederlassungen erweitert.
Die bilanzrechtlichen Vorschriften für Kapitalgesellschaften, Banken und andere Finanzinstitute sowie deren Zweigniederlassungen unterliegen daher den Vorschriften der EG-Richtlinien, die durch §§ 238ff. HGB, insbesondere §§ 264ff. HGB und §§ 340ff. HGB in innerstaatliches Recht umgesetzt worden sind.
Durch Richtlinie v. 8.11.1990, 90/605/EWG (AblEG L 317/60) sind auch Personengesellschaften, bei denen nicht mindestens eine natürliche Person unmittelbar oder mittelbar unbeschränkt haftet ("Kapitalgesellschaft & Co"), den Vorschriften über die Rechnungslegung von Kapitalgesellschaften unterworfen worden. Diese Regelung wurde durch Gesetz v. 24.2.2000 in §§ 264a ff. HGB in innerstaatliches Recht umgesetzt.
Soweit es sich um die Auslegung von Vorschriften handelt, die auf den genannten Richtlinien beruhen, und dabei der Inhalt der Bestimmungen der Richtlinien durch Auslegung zu ermitteln ist, fällt die Entscheidung nach Art. 234 Buchst. b) EGV in die Zuständigkeit des EuGH. Ein Instanzgericht kann die Entscheidung über die Auslegung der Bestimmungen der Richtlinien dem EuGH zur Entscheidung vorlegen, ein letztinstanzliches Gericht (BGH, BFH) muss dies tun. Soweit eine letztinstanzliche Entscheidung betroffen ist, ist daher der EuGH ausschließlich für die Auslegung der Richtlinien zuständig.
Andererseits haben die nationalen Gerichte selbstständig über die Entscheidungserheblichkeit der Auslegung des europäischen Rechts zu entscheiden. Der EuGH kann eine Vorlage nur dann als unzulässig zurückweisen, wenn die Rechtsfrage offensichtlich nicht einen konkreten Rechtsfall, sondern eine allgemeine oder hypothetische Frage betrifft. Keine Vorlage ist notwendig, wenn die Auslegungsfrage offensichtlich geklärt ist.
Die Bilanzrichtlinie und die Folgerichtlinien erfassen nur die Rechnungslegung von Kapitalgesellschaften, Banken und andere Finanzdienstleistungsunternehmen, Kapitalgesellschaften & Co und deren Zweigniederlassungen. Nur in diesem Bereich beruhen die §§ 238ff. HGB auf europäischen Richtlinien. Daher haben Instanzgerichte nur in diesem Bereich das Recht, letztinstanzliche Gerichte nur in diesem Bereich die Pflicht, eine Vorabentscheidung des EuGH einzuholen. Für die Rechnungslegung von Einzelunternehmen und Personengesellschaften ist daher keine Vorabentscheidung des EuGH einzuholen. Eine Vorlagepflicht kann sich jedoch dann ergeben, wenn der nationale Gesetzgeber die EG-Richtlinien in einer Weise umgesetzt hat, dass die Regelungen auch für andere Kaufleute gelten. Dann führt die Auslegung der nationalen Vorschriften mittelbar auch zu einer Auslegung der Regelungen der Richtlinien, für die das Auslegungsmonopol des EuGH gilt.
Zur Einwirkung des EU-Bilanzrechts auf das Bilanzsteuerrecht vgl. Rz. 64.
Rz. 34
Praktisch wichtige Entscheidungen des EuGH zum Bilanzrecht sind:
- EuGH v. 14.9.1999, Rs. C-275/97 (DE+ES Bauunternehmen), IStR 1999, 636, zu Pauschalrückstellungen für Gewährleistungsverbindlichkeiten;
- EuGH v. 27.6.1996, Rs. C-234/94, (Tomberger) mit Urteilsberichtigung zur zeitkongruenten Bilanzierung von Gewinnausschüttungen, IStR 1997, 509; Rz. 233f.;
- EuGH v. 7.1.2003, Rs. C-306/99 (BIAO), BStBl II 2004, 144, BFH/NV Beilage 2003, 65, zu Fragen der Vorabentscheidung im Bilanzsteuerrecht (Rz. 64), zu Pauschalrückstellungen und zur Wertaufhellung.