Prof. Dr. Gerrit Frotscher
Rz. 291
Die Rechtsfolgen, d. h. die Übertragung des Erstattungsanspruchs auf das Zurechnungssubjekt, wirken sich bei einer materiellen und formellen Auslegung der Vorschrift jeweils unterschiedlich aus. Weiter ist zu unterscheiden zwischen Erstattung der Abzugsteuer auf Lizenzen nach § 50a Abs. 1 Nr. 3 EStG und bei Erstattung der KapESt. Weiter zu berücksichtigen ist, dass der Erstattungsanspruch nach Art. 10 Abs. 2 Buchst. a, Art. 12 Abs. 1 OECD-MA nur dem "Nutzungsberechtigten" zusteht, sowie, ob der Gläubiger der Erträge oder Vergütungen nach dem DBA abkommensberechtigt ist.
Grundfall
Die deutsche A-GmbH zahlt an die im Staat B ansässige Gesellschaft X Lizenzgebühren. Die Gesellschaft X wird von dem Staat B als transparent angesehen; Deutschland qualifiziert sie als transparent oder als intransparent. Die Gesellschafter sind im Staat B ansässig.
Das Beispiel zeigt den Grundfall auf, der § 50d Abs. 11a EStG zugrunde liegt. Gläubiger der Vergütungen ist die Gesellschaft X, der jedoch die Einkünfte nach dem Recht des Staats B nicht zugerechnet werden. Der Tatbestand des § 50d Abs. 11a EStG ist damit erfüllt. Es kommt nach der hier vertretenen Ansicht nicht darauf an, ob Deutschland die Gesellschaft X als transparent oder intransparent ansieht; in beiden Fällen greift § 50d Abs. 11a EStG ein (Rz. 279). Rechtsfolge ist, dass der Erstattungsanspruch anteilig den Gesellschaftern zusteht. Diese Rechtsfolge ist unabhängig davon, ob man § 50d Abs. 11a EStG materielle oder formelle Wirkung zuerkennt, da der Erstattungsanspruch weder dem Grund noch der Höhe nach rechtsformabhängig ist. Bei materieller Wirkung würde jeder Gesellschafter den auf ihn entfallenden Teil des Erstattungsanspruchs als Berechtigter geltend machen. Bei formeller Wirkung würde jeder Gesellschafter den auf ihn entfallenden Anteil an dem Erstattungsanspruch der Gesellschaft, also in einer Art Prozessstandschaft für die Gesellschaft, geltend machen. Problematisch ist im Beispiel 1 aber, ob die Gesellschafter als "Nutzungsberechtigte" i. S. d. DBA angesehen werden können. Das ist nach der anwenderstaatorientierten Betrachtungsweise an sich nicht der Fall, wenn Deutschland die Gesellschaft als intransparent einstuft. Insoweit muss man m. E. aber § 50d Abs. 11a EStG Wirkung auch für den Begriff der Nutzungsberechtigung zuerkennen, da sonst ein nach DBA eindeutig bestehender Anspruch beseitigt werden würde. Die Gesellschaft selbst kann keine Erstattung beantragen, da nach § 50d Abs. 11a EStG "nur" die Zurechnungsberechtigten (d. h. die Gesellschafter) den Anspruch geltend machen können.
Rz. 292
Ein entsprechendes Ergebnis ergibt sich, wenn im Beispiel 1 Deutschland die Gesellschaft X als transparent, der Staat B als intransparent qualifiziert. Deutschland rechnet die Erträge den Gesellschaftern zu, der Staat B dagegen der Gesellschaft. Nach § 50d Abs. 11a EStG steht nur der Gesellschaft X der Erstattungsanspruch zu; die Gesellschafter sind mit einem etwaigen Erstattungsanspruch ausgeschlossen. Auch diese Rechtsfolge ist unabhängig davon, ob § 50d Abs. 11a EStG materielle oder nur formelle Wirkung zuerkannt wird. Ohne § 50d Abs. 11a EStG hätten aus deutscher Sicht die Gesellschafter den Erstattungsanspruch, da sie als ansässige Personen, ebenso wie die Gesellschaft, abkommensberechtigt sind. Wird die Gesellschaft dagegen in beiden Staaten als transparent oder intransparent angesehen, ist der Tatbestand des § 50d Abs. 11a EStG nicht erfüllt, da sowohl nach dem Recht des Staats B als auch nach dem der Bundesrepublik die Erträge übereinstimmend den Gesellschaftern bzw. der Gesellschaft zugerechnet werden.
Rz. 293
Problematisch wird die Regelung des § 50d Abs. 11a EStG jedoch, wenn es sich um die Erstattung der KapESt handelt. Das ist sowohl der Fall, wenn es sich bei dem Zahlungsempfänger um eine KGaA bzw. um eine atypische Kapitalgesellschaft & Still mit einer natürlichen Person als persönlich haftenden Gesellschafter bzw. als Stillen handelt als auch bei einer Personengesellschaft, die in den beteiligten Staaten unterschiedlich als transparent oder intransparent qualifiziert wird.
Erstattung der KapESt im zwei-Staaten-Fall
An der in Deutschland ansässigen A-AG ist die im Staat B ansässige X-KGaA beteiligt; die A-AG schüttet eine Dividende aus. Persönlich haftender Gesellschafter der X-KGaA ist die im Staat B ansässige natürliche Person Y.
Alternative: Y ist eine Körperschaft.
In diesem Fall wird nach deutschem Recht und nach dem Recht des Staats B die Dividende anteilig bei dem persönlich haftenden Gesellschafter Y besteuert. Sie wird also dem Gläubiger, der X-KGaA, steuerlich insoweit nicht zugerechnet. Der Tatbestand des § 50d Abs. 11a EStG ist also erfüllt. Rechtsfolge ist, dass der Anspruch auf Erstattung der KapESt dem Y zusteht, soweit die Dividende auf ihn entfällt. Wird der Vorschrift nur formeller Charakter beigemessen, kann und muss Y den Anspruch der KGaA geltend machen, soweit die Dividende auf ihn entfällt. Er würde a...