Dipl.-Finanzwirt Rüdiger Happe, Prof. Dr. Axel Mutscher
24.1 Entstehung und Zweck der Regelung
Rz. 497
Wird ein einzelnes Wirtschaftsgut – außer in den Fällen der Einlage – unentgeltlich in das Betriebsvermögen eines anderen Stpfl. übertragen, so gilt nach § 6 Abs. 4 EStG sein gemeiner Wert für das aufnehmende Betriebsvermögen als Anschaffungskosten. Diese Regelung geht zurück auf § 7 Abs. 2 EStDV a. F.: Wenn danach einzelne Wirtschaftsgüter aus betrieblichem Anlass aus einem Betriebsvermögen unentgeltlich in das Betriebsvermögen eines anderen Stpfl. übertragen wurden, so galt für den Erwerber der Betrag als Anschaffungskosten, den er für das einzelne Wirtschaftsgut im Zeitpunkt des Erwerbs hätte aufwenden müssen. Beide Vorschriften unterscheiden sich zwar im Wortlaut, stimmen aber inhaltlich überein: Was früher "aus betrieblichem Anlass" hieß, ist nunmehr "außer in den Fällen der Einlage" formuliert. Für die Bewertung auf Seiten des Erwerbers sind an die Stelle von "der Betrag als Anschaffungskosten, den er für das einzelne Wirtschaftsgut im Zeitpunkt des Erwerbs hätte aufwenden müssen" die Worte getreten "sein gemeiner Wert für das aufnehmende Betriebsvermögen".
Rz. 498
§ 6 Abs. 4 EStG betrifft die Übertragung einzelner Wirtschaftsgüter aus dem Betriebsvermögen eines Stpfl. in das eines anderen Stpfl., die zwar unentgeltlich, aber aus betrieblichem Anlass erfolgt. Es handelt sich also um einen Vermögenszugang außerhalb von Einlagen. Beispielsweise werden Bestechungsleistungen erbracht oder Geschenke zu Werbezwecken gemacht. Auf Schenkungen ist § 6 Abs. 4 EStG nicht anwendbar. Denn diese Übertragung ist privat veranlasst. Es handelt sich bei dem Übertragenden um eine Entnahme und bei dem Empfänger um eine Einlage. Der Empfänger hat das aus privaten Gründen erworbene Wirtschaftsgut mit dem Teilwert einzulegen.
Rz. 498a
Zweck des § 6 Abs. 4 EStG ist es, die Bewertung des übertragenen Wirtschaftsguts beim Empfänger zu regeln. Eine Bewertung mit den Anschaffungs- oder Herstellungskosten nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 EStG scheidet aus. Die Übertragung erfolgt jedoch aus betrieblichem Anlass. Denn nach dem Grundsatz, dass ein Kaufmann nichts verschenkt, liegt ihr im Allgemeinen zumindest die Erwartung einer Gegenleistung zugrunde. Da es sich folglich oft um tauschähnliche Vorgänge handelt, ist eine Bewertung auf Seiten des Erwerbers mit dem gemeinen Wert als Anschaffungskosten gerechtfertigt.
24.2 Systematischer Zusammenhang
Rz. 499
§ 6 Abs. 4 EStG unterscheidet sich von § 6 Abs. 3 EStG dadurch, dass nicht eine betriebliche Einheit, sondern einzelne Wirtschaftsgüter übertragen werden. Im Gegensatz zu § 6 Abs. 5 S. 1 EStG findet die Übertragung nicht zwischen verschiedenen Betriebsvermögen desselben Stpfl. statt, sondern es wird ein Wirtschaftsgut in das Betriebsvermögen eines anderen Stpfl. übertragen.
Rz. 500
Schon dem Wortlaut des § 6 Abs. 4 EStG lässt sich entnehmen, dass die Regeln über die Einlage nach § 4 Abs. 1 S. 8 EStG dem § 6 Abs. 4 EStG vorgehen. Damit ist klargestellt, dass Zuführungen aus dem Privatvermögen eines anderen Stpfl. in das Betriebsvermögen des Erwerbers als Einlagen nicht von § 6 Abs. 4 EStG erfasst werden. Beispielsweise schenkt ein Vater ein zu seinem Betriebsvermögen gehörendes Grundstück seinem Sohn in vorweggenommener Erbfolge. Damit entnimmt der Vater das Grundstück aus seinem Betriebsvermögen. Der Sohn erhält es aus privatem Anlass und legt es nach § 4 Abs. 1 S. 8 EStG zum Teilwert in sein Betriebsvermögen ein.
Rz. 500a
§ 6 Abs. 4 EStG ist nicht auf unentgeltliche Übertragungen innerhalb einer Mitunternehmerschaft anwendbar, sei es aus dem Sonderbetriebsvermögen eines Mitunternehmers in das Gesamthandsvermögen der Mitunternehmerschaft oder zwischen verschiedenen Mitunternehmern. Insoweit hat § 6 Abs. 5 S. 3 EStG Vorrang. Denn die Steuerverstrickung innerhalb der Mitunternehmerschaft bleibt erhalten.
Rz. 501
Vorrang vor § 6 Abs. 4 EStG hat auch § 6 Abs. 6 S. 2 EStG zur Bewertung der verdeckten Einlage (s. Rz. 529ff.) eines einzelnen Wirtschaftsguts aus einem Betriebsvermögen in eine Kapitalgesellschaft. § 6 Abs. 6 S. 2 EStG behandelt diesen Vorgang auf der Ebene des Gesellschafters als einen Gewinn oder Verlust realisierenden Vorgang. Bei ihm erhöhen sich die Anschaffungskosten seiner im Betriebsvermögen gehaltenen Beteiligung an der Kapitalgesellschaft um den Teilwert des verdeckt eingelegten Wirtschaftsguts. Der Gesetzgeber hat damit an die Rspr. zum Forderungsverzicht eines Gesellschafters gegenüber seiner Kapitalgesellschaft angeknüpft. Er wollte die verdeckte Einlage einer Veräußerung gleichstellen. Insbesondere sollten Übertragungen von Einzelwirtschaftsgütern im Rahmen der Begründung einer Betriebsaufspaltung oder während ihres Bestehens nicht mehr steuerneutral möglich sein.
Rz. 502
Vor Schaffung des § 6 Abs. 4 EStG hatte die Rspr. zur Bewertung von nicht in Geld bestehenden betrieblichen Zugängen wie Sachleistungen oder Nutzungsvorteilen auf den die Überschusseinkünfte regelnden § 8 EStG und die hierzu entwickelten Gru...