Dipl.-Finanzwirt Rüdiger Happe, Prof. Dr. Axel Mutscher
Rz. 25
Nach dem "Bewertungsvorbehalt" des § 5 Abs. 6 EStG sind bei der steuerrechtlichen Bilanzierung "die Vorschriften über die Bewertung" zu befolgen. Demgemäß haben die steuerrechtlichen Vorschriften Vorrang vor den handelsrechtlichen. Soweit eine steuerrechtliche Regelung jedoch fehlt oder lückenhaft ist, gelten aufgrund des Maßgeblichkeitsgrundsatzes nach § 5 Abs. 1 EStG die als allgemeine GoB gesetzlich geregelten Bewertungsgrundsätze des § 252 HGB und die Bewertungsvorschriften der §§ 253 bis 256 HGB.
Rz. 26
Der Bewertungsvorbehalt des § 5 Abs. 6 EStG beruht auf der Erwägung, dass die Handelsbilanz grundsätzlich auch der steuerrechtlichen Gewinnermittlung zugrunde zu legen ist. So folgt auch das Steuerrecht den handelsrechtlichen Obergrenzen für die Bewertung, indem es ebenfalls an die Bewertung nach den Anschaffungs- oder Herstellungskosten oder dem niedrigeren Teilwert anknüpft. Zudem weist § 6 EStG zahlreiche Regelungslücken auf, die die Rspr. mithilfe handelsrechtlicher Bewertungsgrundsätze geschlossen hat. Beispielsweise hat die Rspr. mangels einer eigenen steuerrechtlichen Regelung zur Bemessung der Anschaffungs- oder Herstellungskosten auf die handelsrechtlichen GoB zurückgegriffen. Auch hat sie zur Bestimmung der Bewertungsmethoden an das Handelsrecht angeknüpft (Rz. 40ff.).
Rz. 27
Jedoch hat die Rspr. nicht die Bewertungsspielräume und die Unterbewertungsmöglichkeiten in das Steuerrecht übernommen, die die GoB dem Kaufmann eröffnen. So hat die Rspr. handelsrechtliche Bewertungswahlrechte grundsätzlich nicht auf die steuerrechtliche Bewertung durchschlagen lassen. Zur Vermeidung von Unterbewertungen führen handelsrechtliche Aktivierungswahlrechte grundsätzlich zu einem steuerbilanziellen Aktivierungsgebot und handelsrechtliche Passivierungswahlrechte grundsätzlich zu einem steuerbilanziellen Passivierungsverbot, soweit nicht auch nach Steuerrecht ein entsprechendes Bilanzierungswahlrecht besteht.
Rz. 27a
Im Zuge des Bilanzrechtsmodernisierungsgesetzes (BilMoG) v. 25.5.2009 hat der Gesetzgeber mit § 5 Abs. 1 S. 1 EStG zwar an dem Grundsatz der Maßgeblichkeit der Handelsbilanz für die Steuerbilanz festgehalten. Nach wie vor ist der handelsrechtliche Jahresabschluss Grundlage der steuerlichen Gewinnermittlung. Dabei ist nach § 5 Abs. 1 S. 1 EStG das Betriebsvermögen anzusetzen, das nach den handelsrechtlichen GoB anzusetzen ist, jedoch stets vorbehaltlich vorrangiger steuerlicher Normen und steuerlicher Wahlrechte.
Rz. 27b
Steuerliche Ansatz- und Bewertungswahlrechte können unter Aufgabe des bisher geltenden Grundsatzes der umgekehrten Maßgeblichkeit nach § 5 Abs. 1 S. 1 EStG unabhängig von der Handelsbilanz ausgeübt werden. Das gilt sowohl für GoB-inkonforme steuerliche Wahlrechte, z. B. die Rücklage für Ersatzbeschaffung nach § 6b EStG, als auch für GoB-konforme Wahlrechte, z. B. die Methode der planmäßigen Abschreibung. Die eigentlich im Interesse der Arbeitsvereinfachung wünschenswerte Einheitsbilanz rückt damit in immer weitere Ferne. Es wird gar von einer Aufgabe der Einheitsbilanz gesprochen. Als Ersatz verlangt § 5 Abs. 1 S. 2 EStG bei einer von der Handelsbilanz abweichenden Ausübung steuerlicher Wahlrechte die Aufnahme der betroffenen Wirtschaftsgüter in besondere, laufend zu führende Verzeichnisse.
Rz. 27c
Das BilMoG v. 25.5.2009 wirkt sich auf die steuerliche Gewinnermittlung nicht aus, sieht man von der Zeitwertbewertung bestimmter Finanzinstrumente nach § 6 Abs. 1 Nr. 2b EStG ab. § 6 EStG enthält eigenständige Bewertungsvorschriften. Sie bewirken, dass abweichende handelsrechtliche Bewertungsvorschriften sich trotz des fortbestehenden Maßgeblichkeitsgrundsatzes steuerrechtlich nicht auswirken. Die Beseitigung handelsrechtlicher Wahlrechte und die Angleichung des handelsrechtlichen Herstellungskostenbegriffs durch das BilMoG nähert allerdings Handels- und Steuerrecht aneinander an.