Zunächst ist es erfreulich, dass der BFH – mehr als 56 Jahre nach Einführung der Vorschrift – nun etwas Klarheit zum erforderlichen Nachweis einer tatsächlich kürzeren ND geschaffen hat. Das Urteil hat erhebliche Praxisrelevanz beim Kauf gebrauchter Immobilien, die zur Einkunftserzielung genutzt werden.
Gleichwohl dürfte das Urteil nicht eröffnen, dass die Vorlage jedes Gutachtens oder gar der bloße Hinweis auf die SW-RL bzw. ImmoWertV 2021 automatisch den Abzug höherer AfA bedeutet. Vorrangig wird es auf das zugrunde liegende Wertermittlungsverfahren ankommen. Überdies beurteilt sich, ob eine verkürzte ND i.S.d. § 7 Abs. 4 S. 2 EStG zugrunde gelegt werden kann, stets nach den Verhältnissen des Einzelfalls.
Beauftragung eines Sachverständigen sinnvoll? Die Beauftragung eines Sachverständigen zur Ermittlung einer tatsächlichen kürzeren ND dürfte sich – sofern keine weiteren Gründe als das bloße Alter der Immobilie zu berücksichtigen sind – bei Nachkriegsbauten eher nicht lohnen. Wie der Besprechungsfall zeigt, führt aber selbst ein Alter von mehr als 100 Jahren noch nicht zwangsläufig zu erheblich höheren AfA (im Streitfall: + 0,94 bzw. + 0,625 Prozentpunkte).
Auch bei zu Betriebsvermögen gehörenden Gebäuden, die nicht Wohnzwecken dienen und für die der Bauantrag nach dem 31.3.1985 gestellt worden ist, werden durch den bereits höheren AfA-Satz von 3 % die Vorteile eines kostspieligen Gutachtens gegenüber dem etwaigen Vorteil aus der Gewinnverschiebung sorgfältig abzuwägen sein. Beachten Sie: Insbesondere, falls eine Aufdeckung der (dadurch höheren) stillen Reserven absehbar ist.
Interessant dürfte dies dagegen bei Zuschlägen im Zwangsversteigerungsverfahren sein, bei denen es das Gutachten pro bono dazu gibt. Wertlos als Nachweis einer kürzeren ND ist dieses jedoch, wenn der Verkehrswert (nur) anhand des Vergleichswertverfahrens ermittelt wurde.
Gutachten im FG-Prozess: Sofern eine kürzere ND vom FA nicht anerkannt und der Weg vor das FG eingeschlagen wird, ist zu beachten, dass ein von einem Beteiligten vorgelegtes Sachverständigengutachten im finanzgerichtlichen Verfahren lediglich als Privatgutachten zu behandeln und als urkundlich belegter Parteivortrag zu würdigen ist. Ob und aus welchen Gründen dem Gutachten eines Sachverständigen gefolgt wird, ist Entscheidung des Gerichts. Im Zweifel kann es selbst ein (weiteres) Gutachten in Auftrag geben. Jedoch kann erst ein hinreichend substantiierter Vortrag der Kläger das FG dazu veranlassen. Ohne entsprechenden Sachvortrag der Beteiligten ist es nicht verpflichtet, quasi "ins Blaue" hinein ein Sachverständigengutachten zu beauftragen.
Risiko der Kostentragung: Zu beachten ist daher – neben den reinen Gerichtskosten – das Risiko, zusätzlich auch diese Aufwendungen tragen zu müssen. So kostet die Erstattung eines Verkehrsgutachtens für ein bebautes Grundstück (§ 193 Abs. 1 BauGB) bei einem Verkehrswert von 300.000 EUR z.B. ca. 2.500 EUR zzgl. USt.
Das Vorliegen älterer Gutachten dürfte aufgrund der o.g. Rechtsprechung des FG Berlin-Brandenburg auch weiterhin für aktuelle Jahre nicht in Betracht kommen.