Leitsatz
Die Anwendung der Vermutungsregel des § 51 Abs. 3 Satz 2 AO erfordert die Feststellung, dass gerade die Körperschaft, deren steuerrechtliche Gemeinnützigkeit versagt werden soll, als selbständiges Steuersubjekt (§ 51 Abs. 1 Satz 2 und 3 AO) in einem Verfassungsschutzbericht ausdrücklich als extremistisch bezeichnet wird und nicht ein hiervon verschiedenes selbständiges Steuersubjekt.
Normenkette
§ 51 Abs. 3 Satz 2, Abs. 1 Satz 2 AO
Sachverhalt
Der Kläger, ein eingetragener Verein, war in den Jahren 2009 bis 2015 (Streitjahre) als Landesorganisation Teil einer – ebenfalls als eingetragener Verein verfassten – Bundesorganisation. Die Beschlüsse der Bundesorganisation waren nach der Satzung des Klägers für ihn bindend. Ein Teil des Namens des Klägers war wortgleich in dem Namen der Bundesorganisation enthalten. Der Name der Bundesorganisation enthielt darüber hinaus unter anderem eine Abkürzung. Weiter war der Kläger auf Kreisebene untergliedert.
Die Verfassungsschutzberichte des Landes A sämtlicher Streitjahre führten in der Überschrift einer Textziffer allein den wortgleichen Namensteil sowie die Abkürzung aus dem Namen der Bundesorganisation auf. Die Verfassungsschutzberichte 2009 bis 2013 enthielten nach der Überschrift der Textziffer jeweils eine Tabelle, in der in einer Spalte mit dem Namen "Deutschland" neben der Anzahl der Mitglieder weitere Daten angegeben wurden, während in einer Spalte für das Land A in den entsprechenden Zeilen nur die Anzahl der Mitglieder ausgefüllt war. Eine in den Verfassungsschutzberichten 2014 und 2015 nach der Überschrift der Textziffer jeweils aufgeführte Tabelle enthielt nur Daten für das Land A, wobei die angegebene Anzahl der Mitglieder der Anzahl der Mitglieder für das Land A der Vorjahre entsprach und die übrigen angegebenen Daten identisch mit den jeweiligen Daten der Spalte "Deutschland" aus den Vorjahren waren. Sodann wurde in den Texten zur jeweiligen Textziffer zur Bezeichnung der in der Überschrift erwähnten Organisation eine Abkürzung verwendet. Zur Landesorganisation wurde erwähnt, auch sie sei durch eine andere im Verfassungsschutzbericht aufgeführte Organisation beeinflusst. Weiter führten die Verfassungsschutzberichte 2009 und 2010 in einer Übersicht über erwähnenswerte extremistische und extremistisch beeinflusste Organisationen den wortgleichen Namensteil nebst der Abkürzung und – nicht konkretisierten – Landesorganisationen auf, wobei noch zwei Daten der Bundesorganisation genannt wurden, und wiesen sodann in einer Spalte für das Land A und einer Spalte mit dem Namen "Deutschland" jeweils die Anzahl der Mitglieder aus. Die Verfassungsschutzberichte 2013 bis 2015 bezeichneten die Organisation im Anhang in einer Übersicht zu extremistischen Organisationen und Gruppierungen allein mit dem wortgleichen Namensteil sowie der Abkürzung. In diesen Übersichten der Jahre 2013 bis 2015 waren – nach der hierzu in den Verfassungsschutzberichten enthaltenen Erläuterung – die im Bericht genannten Organisationen und Gruppierungen aufgeführt, bei denen die vorliegenden tatsächlichen Anhaltspunkte in ihrer Gesamtschau zu der Bewertung geführt hätten, dass die Organisation/Gruppierung verfassungsfeindliche Ziele verfolge, es sich mithin um eine verfassungsfeindliche Organisation/Gruppierung handele.
Das FA erließ KSt-Bescheide für die Streitjahre, in denen er dem Kläger wegen dessen Erwähnung in den Verfassungsschutzberichten des Landes A die Steuerbefreiung des § 5 Abs. 1 Nr. 9 des KStG im Hinblick auf § 51 Abs. 3 Satz 2 AO versagte. Einspruch und Klage zum FG (FG München, Urteil vom 27.9.2021, 7 K 3347/18, Haufe-Index 14945654, EFG 2022, 5) hatten keinen Erfolg.
Entscheidung
Der BFH hob die Entscheidung des FG auf und verwies die Sache an das FG zurück. Nach den vom FG in Bezug genommenen Verfassungsschutzberichten sei nicht hinreichend erkennbar, ob der Kläger als nach § 51 Abs. 3 Satz 2 AO selbstständiges Steuersubjekt in einem Verfassungsschutzbericht i. S. d. § 51 Abs. 3 Satz 2 AO als extremistische Organisation aufgeführt ist oder ob sich diese Berichte auf die Bundesorganisation beziehen. Die dem FG obliegende Prüfung und Würdigung der Tatsachen, ob eine bestimmte Körperschaft als selbstständiges Steuersubjekt in den Verfassungsschutzberichten i. S. d. § 51 Abs. 3 Satz 2 AO aufgeführt ist, könne im Revisionsverfahren nicht nachgeholt werden.
Hinweis
1. Nach § 51 Abs. 3 Satz 1 AO setzt die Steuervergünstigung für die z. B. gemeinnützige Zweckverfolgung voraus, dass die Körperschaft nach ihrer Satzung und bei ihrer tatsächlichen Geschäftsführung keine Bestrebungen i. S. d. § 4 BVerfSchG fördert und dem Gedanken der Völkerverständigung nicht zuwiderhandelt. Bei Körperschaften, die im Verfassungsschutzbericht des Bundes oder eines Landes als extremistische Organisation aufgeführt sind, ist gemäß § 51 Abs. 3 Satz 2 AO widerlegbar davon auszugehen, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 3 Satz 1 AO nicht erfüllt sind.
2. Zur Anwendung des § 51 Abs. 3 Satz 2 AO ist festzus...