Leitsatz
Es ist nicht ernstlich zweifelhaft, dass die sog. Wegzugsteuer nach § 6 Abs. 1 AStG i.d.F. bis zur Änderung durch das SEStEG vom 07.12.2006 i.V.m. § 6 Abs. 5, § 21 Abs. 13 S. 2 AStG i.d.F. der Änderungen durch das SEStEG vom 07.12.2006 weder gegen Gemeinschaftsrecht noch gegen Verfassungsrecht verstößt.
Normenkette
§ 6 Abs. 1 und 5 AStG, Art. 13 Abs. 4 DBA-Portugal, Art. 43 EG; Art. 20 Abs. 3 GG
Sachverhalt
Der Antragsteller verlegte Ende des Streitjahrs seinen bisherigen Wohnsitz von Deutschland nach Portugal. Er war zu diesem Zeitpunkt zu über 50 % an zwei inländischen GmbHs beteiligt. Kurz darauf, im April 2005 wurden die Geschäftsanteile veräußert.
Das FA besteuerte den Verkehrswert der Anteile im Wegzugszeitpunkt nach Maßgabe von § 6 Abs. 1 AStG i.d.F. bis zur Änderung durch das SEStEG i.V.m. § 6 Abs. 5, § 21 Abs. 13 S. 2 AStG i.d.F. der Änderungen durch das SEStEG; er ging dabei davon aus, dass dieser Verkehrswert dem späteren tatsächlichen Veräußerungspreis entsprach.
Der Antragsteller erhob dagegen Klage und beantragte zugleich die AdV. Das FA lehnte den AdV-Antrag ab. Das FG gab ihm hingegen statt (FG München, Beschluss vom 04.04.2008, 11 V 1815/07 B, EFG 2008, 1439).
Entscheidung
Der BFH folgte wiederum dem FA und lehnte den AdV-Antrag ab. Der Gesetzgeber sei unter den gegebenen Umständen nicht gehindert, den (vermutlich) gemeinschaftsrechtswidrigen Rechtszustand durch § 6 AStG a.F. auch rückwirkend durch einen nunmehr gemeinschaftsrechtsmäßigen Rechtszustand zu ersetzen. Zumindest im summarischen Prüfverfahren stehe dem nichts entgegen.
Hinweis
1. Beteiligte sich ein deutscher Staatsangehöriger an einer inländischen Kapitalgesellschaft i.S.v. § 17 EStG, also zuletzt mit wenigstens 1 % der Anteile, dann musste er im Fall seines Wegzugs in das Ausland mit der steuerlichen "Nachverfolgung" in Gestalt der sog. Wegzugsteuer des § 6 AStG rechnen. Es stand seit geraumer Zeit allseits außer Zweifel, dass diese Steuer europarechtswidrig war, spätestens seit der Entscheidung des EuGH in der Rechtssache "de Lasteyrie du Saillant" vom 11.03.2004, Rs. C-9/02 (BFH/NV 2004, Beilage 3, 211, BFH/PR 2004, 246; s. auch Urteil vom 07.09.2006, Rs. C-470/04 "N", BFH/NV 2007, Beilage 1, 28); der vom BFH vormals (im Beschluss vom 17.12.1997, I B 108/97, BStBl II 1998, 558) gegebene europarechtliche "Segen" über die Norm war seitdem wohl nicht länger haltbar.
2. Die deutsche Finanzverwaltung hatte auf das EuGH-Urteil denn auch alsbald reagiert und einen "abgemilderten" Anwendungserlass in die Welt gesetzt (vom 08.06.2005, BStBl I 2005, 714). Und nachdem die EG-Kommission Deutschland mit einem Vertragsverletzungsverfahren wegen der gesetzlichen Regelung überzogen hatte, wurde das Gesetz denn auch (durch das SEStEG vom 07.12.2006) geändert, mit der Absicht es gemeinschaftsrechtsverträglich auszugestalten:
Es bleibt fortan zwar bei der Wegzugsteuerbelastung. Diese wurde sogar partiell ausgeweitet; sie trifft nunmehr nicht mehr nur deutsche Staatsangehörige, und sie erstreckt sich jetzt überdies auf Auslandsbeteiligungen. Sie wird auch tatsächlich festgesetzt und in einen Steuerbescheid "gegossen". Jedoch: Sie wird innerhalb der EU und des EWR-Raums nicht erhoben, sondern – nach § 6 Abs. 5 AStG n.F. – vorerst bis zur endgültigen Realisation zinslos und ohne Sicherheitsleistung gestundet.
Allseits wird angenommen, dass das Ziel der Gemeinschaftsrechtsverträglichkeit damit erreicht worden sei. Und das sieht auch der BFH so, und zwar sowohl aus abkommens- wie in gemeinschafts- und in verfassungsrechtlicher Sicht:
3. Aus Abkommenssicht hat der BFH keinen ernsthaften Zweifel daran, dass der Wegzugsstaat jedenfalls jene stillen Reserven besteuern kann, die in seinem Territorium "aufgelaufen" sind. Der Besteuerungszugriff bleibt möglich, und zwar unbeschadet des Art. 13 Abs. 5 OECD-MA. Dieser Artikel ordnet das Besteuerungsrecht für Veräußerungsgewinne aus Anteilsbesitz an Kapitalgesellschaften zwar dem Zuzugsstaat zu. Doch hindert das den Wegzugsstaat nicht, in der letzten "juristischen Sekunde" vor dem Wegzug "zuzugreifen". Nichts anderes ist durch § 6 AStG geschehen; die dagegen gerichtete Kritik aus dem Schrifttum, das sei "gesetzeshandwerklich" nicht gelungen, wird vom BFH verworfen.
Auf dieser Basis besteht naturgemäß die praktische Schwierigkeit, den "Wegzugswert" verlässlich zu ermitteln. Einigermaßen "treffsicher" wird das immer nur dann gelingen, wenn die Realisation im Wegzugsstaat zeitnah erfolgt und deswegen tragfähige Werte in Gestalt des Verkaufspreises vorliegen.
4. Das kann natürlich zu Doppelbesteuerungen führen, nämlich dann, wenn auch der Zuzugsstaat das Besteuerungsrecht für sich reklamiert und dabei keine Rücksicht auf den Steuerzugriff des Wegzugsstaats nimmt, sei es dadurch, dass er nicht den "Zuzugswert" der Anteile zugrunde legt oder dass er die ausländische Wegzugsteuer auf seine Realisationssteuer nicht anrechnet, und wenn auch im DBA selbst nicht für eine Doppelbesteuerungsvermeidung gesorgt wird.
Der BFH s...