R B 11.5 und 11.6 ErbStR 2019 dienen zur Erläuterung und Auslegung der Verwaltungsmeinung zum grundsätzlichen Ansatz und der Bewertung von Wirtschaftsgütern i.R.d. Substanzwerts, der gem. § 11 Abs. 2 Satz 3 BewG immer dann als Mindestwert anzusetzen ist, wenn er den nach dem vereinfachten Ertragswertverfahren (§§ 199–203 BewG als simplifizierte Grundermittlung der erbschaft-/schenkungsteuerlichen Unternehmensbewertung) oder einer anderen betriebswirtschaftlichen Methode erhaltenen Unternehmenswert übersteigt. Die Verwaltung bestätigt diese Auslegung in R B 11.5 Abs. 1 ErbStR 2019:
"Der Substanzwert ist als Mindestwert nur anzusetzen, wenn der gemeine Wert nach dem vereinfachten Ertragswertverfahren oder mit einem Gutachtenwert (Ertragswertverfahren oder andere im gewöhnlichen Geschäftsverkehr für nichtsteuerliche Zwecke übliche Methode) ermittelt wird. Wird der gemeine Wert aus tatsächlichen Verkäufen unter fremden Dritten im gewöhnlichen Geschäftsverkehr abgeleitet, ist der Ansatz des Substanzwerts als Mindestwert ausgeschlossen."
Die einzige Legaldefinition des Substanzwerts ergibt sich aus § 11 Abs. 2 Satz 3 Halbs. 1 BewG:
"Die Summe der gemeinen Werte der zum Betriebsvermögen gehörenden Wirtschaftsgüter und sonstigen aktiven Ansätze abzüglich der zum Betriebsvermögen gehörenden Schulden und sonstigen Abzüge (Substanzwert) der Gesellschaft darf nicht unterschritten werden."
Hier ist nochmals zu betonen, dass der Substanzwert nicht die Werte in der Steuerbilanz, sondern die tatsächlichen Verkehrswerte abzubilden hat, so dass entgegen dem nach § 5 Abs. 2 EStG in der Steuerbilanz geltenden Aktivierungsverbot für selbst geschaffene immaterielle Wirtschaftsgüter nach R B 11.5 Abs. 3 Satz 4 und 5 ErbStR 2019 zutreffenderweise auch zum Betriebsvermögen gehörende selbst geschaffene immaterielle Wirtschaftsgüter (z.B. Patente, Lizenzen, Warenzeichen, Markenrechte, Konzessionen, Bierlieferrechte) und geschäftswert-, firmenwert- oder praxiswertbildende Faktoren, denen ein eigenständiger Wert zugewiesen werden kann (z.B. Kundenstamm, Knowhow) mit einzubeziehen sind.
In R B 11.5 Abs. 3 Satz 6 ErbStR 2019 wird dann explizit ausgeführt:
„Zum Betriebsvermögen gehörende Genossenschaftsanteile sind grundsätzlich im Rahmen der Ermittlung des Substanzwerts als Kapitalforderungen nach § 12 BewG mit dem Nennwert zu bewerten.”
Daraus lässt sich bereits schließen, dass die Finanzverwaltung Genossenschaftsanteile nicht als originäres Betriebsvermögen und ebenso wenig als Kapitalgesellschaftsanteilen gleichgestellte Anteile kategorisieren will. Fraglich ist, inwieweit die Einschränkung "grundsätzlich" als tatsächliche Öffnungsklausel (und wenn ja dann als Öffnung wohin) oder nur wie an zahlreichen anderen Stellen als lediglich redaktionell-theoretisch aufzufassen ist. Es gilt hier zu bedenken, dass sowohl der Gesetzgeber – wenn er diese bisher überhaupt in Betracht gezogen hat – als auch die Finanzverwaltung bei der Bezugnahme auf Genossenschaftsanteile die in der BRD ganz vorherrschenden Genossenschaftsformen der Volks- und Raiffeisenbanken als Kreditgenossenschaften und der zahlreichen Wohnungsbau- oder Energieerzeugungsgenossenschaften vor Augen gehabt haben mögen.
Bei diesen Genossenschaften ist es auch bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise ganz überwiegend angezeigt, von einer reinen Kapitalforderung auszugehen, da bspw. bei den Genossenschaftsbanken die Mitglieder einen Anteil von 100 oder 500 EUR als Geschäftsanteil mit dem Recht auf einen Dividendenbezug zeichnen, aber keinesfalls darüber hinaus am Vermögen der Genossenschaft beteiligt sind. Vielmehr steht dem Genossen oder seinem Erben bei Austritt auch nur diese Kapitalforderung zur Auszahlung zu. Ebenfalls ist zu berücksichtigen, dass bei derartigen Genossenschaften die zahlreichen Mitglieder jeweils nur Minimalbeteiligungen von weit unter 25 % (wesentlich i.S.d. § 13b Abs. 1 Nr. 1 ErbStG für Beteiligungen im Privatvermögen) und regelmäßig auch unter 1 % (wesentlich i.S.d. § 17 EStG für Beteiligungen im Privatvermögen) halten.
Völlig anders sollte die erbschaft-/schenkungsteuerliche Betrachtung indes sein, wenn die Rechtsform der Genossenschaft hauptsächlich oder ausschließlich im Familienverbund als Gestaltung gewählt wird, um zunächst Vermögen in diese einzubringen und sodann die mit einem niedrigen Nennwert gezeichneten Anteile auf die Nachfolgegeneration unentgeltlich zu übertragen.