Die sechs Sätze der R B 151.6 ErbStR 2019 sind eigens der gesonderten Feststellung des Werts von Anteilen an Genossenschaften gewidmet und führen aus:
"1Bei zum Betriebsvermögen gehörenden Genossenschaftsanteilen gilt grundsätzlich das Folgende: 2Diese sind im Rahmen der Ermittlung des Substanzwerts als Kapitalforderungen nach § 12 BewG mit dem Nennwert zu bewerten. 3Im vereinfachten Ertragswertverfahren sind die Erträge im Jahresertrag nach § 200 Absatz 1 BewG zu erfassen. 4Genossenschaftsanteile stellen keine Beteiligungen im Sinne des § 200 Abs. 3 BewG dar. 5Sie zählen als Forderungen zu den Finanzmitteln im Sinne des § 13b Abs. 4 Nummer 5 ErbStG. 6Das für die Genossenschaft zuständige Finanzamt hat keine Feststellungen durchzuführen."
Auch hier stellt die Finanzverwaltung eindeutig klar, dass Genossenschaftsanteile keine Beteiligungen an anderen Gesellschaften darstellen. Der etwas verwirrende Verweis "keine Beteiligungen im Sinne des § 200 Abs. 3 BewG " in R B 151.6 Satz 4 ErbStR 2019 ist im Kontext des § 200 BewG zur Bewertung von Betriebsvermögen und Gesellschaftsanteilen i.R.d. vereinfachten Ertragswertverfahrens zu sehen. Nach der Systematik von § 200 Abs. 2 und 3 BewG hat für zu einer Unternehmenseinheit gehörende Beteiligungen an anderen Gesellschaften immer zunächst eigenständig eine Wertermittlung zu erfolgen, nach § 200 Abs. 2 BewG, wenn sie nicht betriebsnotwendiges Vermögen darstellen, aber nach § 200 Abs. 3 BewG ebenfalls, wenn sie betriebsnotwendiges Vermögen darstellen. Nach R B 200 Abs. 3 Satz 1 ErbStR fallen sowohl Anteile an einer Kapitalgesellschaft als auch Beteiligungen an einer Personengesellschaft unter die Anwendung des § 200 Abs. 3 BewG, wobei es auf eine Mindestbeteiligungsquote nicht ankommt.
Somit bestätigt R B 151.6 ErbStR 2019 unwiderlegbar die (zumindest momentan noch bestehende) Auffassung der Finanzverwaltung, dass Genossenschaftsanteile per se dem Grunde nach weder Betriebsvermögen noch Anteile an (Personen- oder Kapital-) Gesellschaften, sondern bloße Kapitalforderungen i.S.d. § 12 BewG sind. Erneut gibt es in R B 151.6 Satz 1 ErbStR 2019 die Ausweichmöglichkeit "gilt grundsätzlich", aber es ist nicht abschließend oder auch nur andeutungsweise geklärt, in welchen Fällen eine Abkehr vom Grundsatz erfolgen soll.
Beraterhinweis Es bestehen jedoch bereits – nicht veröffentlichte – Verwaltungsauffassungen, dass im Einzelfall von der Bewertung von Genossenschaftsanteilen mit einer Beteiligungsquote von über 1 % oder einem Nennwert von über 100.000 EUR als Kapitalforderung abgewichen werden kann, wenn diese nach den Umständen des Einzelfalls nicht mehr mit einer Kapitalforderung vergleichbar sind. Dies könnte insb. dann zutreffen, wenn eine geringe Zahl an Genossen vorliege, eine Beteiligung an den stillen Reserven der Genossenschaft oder eine über eine übliche Dividende hinausgehende Gewinnbeteiligung vorliegt. Es scheint, dass zunächst eine höchstrichterliche Rspr. erforderlich sein wird, bevor nähere Klarstellungen erfolgen werden.
Sowohl R B 11.5 Abs. 3 Satz 6 als auch R B 151.6 ErbStR 2019 behandeln von der Systematik her im Betriebsvermögen gehaltene Genossenschaftsanteile und nicht solche, die dem Privatvermögen zugehören. Zur Betriebsvermögenszugehörigkeit i.S.d. § 109 BewG vgl. oben Abschn. III. 7. – wo jedoch Genossenschaftsanteile in H 4.2 Abs. 1 EStH 2021 unter Beteiligungen(!) eingeordnet sind unter Bezugnahme auf BFH v. 4.2.1998 – XI R 45/97, BStBl. II 1998, 301 = FR 1998, 559. Ob insoweit Genossenschaftsanteile dem Betriebsvermögen oder dem Privatvermögen zuzuordnen sind, ändert jedoch zunächst nichts an der originären Vermögensart der Genossenschaftsanteile, so dass grundsätzlich auch für dem Privatvermögen zuzuordnende Genossenschaftsanteile die Qualifizierung als Kapitalforderung maßgeblich ist. Entscheidend ist die Zuordnung zum Betriebsvermögen grundsätzlich natürlich für die Verschonungsregeln der §§ 13a und 13b ErbStG, s. dazu Abschn. V. 3.