Der zweite Hauptteil dieses Beitrags soll sich mit der Behandlung von Genossenschaftsanteilen i.R.d. erbschaft-/schenkungsteuerlichen Grundkategorisierung, Bewertung und Verschonungsregeln befassen. Dabei wird sich herausstellen, dass der Gesetzgeber und insb. die Finanzverwaltung in ihren veröffentlichten Auslegungen das auf sie zukommende Problem der von Steuerpflichtigen bewusst zur Beanspruchung niedriger Unternehmensbewertungen gegründeten – operativ tätigen oder insb. vermögensverwaltenden – Kleinstgenossenschaften noch nicht realiter erfasst haben, da in den ErbStR und BMF-Schreiben diese Niedrigbewertung bisher selbst vertreten wird.

1. Fehlende Legaldefinition und erforderliche Grunddifferenzierung

Der Gesetzgeber hat es zunächst und bis dato (konstitutiv und deklaratorisch) unterlassen, Anteile an Genossenschaften im ErbStG selbst einer konkreten Vermögenseinordnung zu unterziehen. Vereinfacht dargestellt richtet sich die für Zwecke der Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuer vorzunehmende Bewertung und wesensimmanent damit auch die vermögensspezifische Einordnung übertragener Wirtschaftsgüter und Sachgesamtheiten gem. § 12 Abs. 1 ErbStG nach den Vorschriften des Ersten Teils des BewG (§§ 116 BewG), soweit nicht in § 12 Abs. 2 bis 7 ErbStG etwas anderes bestimmt ist. Im Folgenden wird kurz auf das bedauerlicherweise etwas verwirrende Wechselspiel vom BewG und ErbStG zur Einordnung und Bewertung von Anteilen und Betriebsvermögen eingegangen.

Dabei dient § 11 BewG als allgemeine Bewertungsvorschrift für "Wertpapiere und Anteile", dessen Abs. 1 hier bereits nicht einschlägig ist, da er nur "Wertpapiere und Schuldbuchforderungen, die am Stichtag an einer deutschen Börse zum Handel im regulierten Markt zugelassen sind", behandelt. In § 11 Abs. 2 Satz 1 BewG wird dann konkretisiert, dass "Anteile an Kapitalgesellschaften, die nicht unter Absatz 1 fallen" mit dem gemeinen Wert anzusetzen sind. Somit ist auch diese Klassifizierung nicht einschlägig, da es sich bei Genossenschaften zwar um Körperschaften i.S.d. § 1 Abs. 1 Nr. 2 KStG, aber nicht um Kapitalgesellschaften handelt. Ebenso wenig sind Genossenschaftsanteile von § 11 Abs. 4 BewG (Anteile oder Aktien, die Rechte an einem Investmentvermögen i.S.d. Kapitalanlagegesetzbuchs verbriefen) erfasst. Auch die speziellen Bewertungsvorschriften nach § 12 Abs. 2 ErbStG (Anteile an Kapitalgesellschaften, für die ein Wert nach § 151 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BewG festzustellen ist) und § 12 Abs. 5 ErbStG (inländisches Betriebsvermögen, für das ein Wert nach § 151 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BewG festzustellen ist) umfassen nicht die Bewertung von Anteilen an Genossenschaften im originären Sinne, wenngleich sich solche Anteile grundsätzlich auch im Betriebsvermögen befinden können.

Somit verbleibt ohne den Versuch, durch etwaige extensive teleologische Auslegungserweiterungen Genossenschaftsanteile analog wie nicht notierte Anteile an Kapitalgesellschaften oder Betriebsvermögen einer Ertrags- und Substanzwertermittlung zu unterziehen, offensichtlich nur deren Subsumption unter § 12 Abs. 1 BewG als Kapitalforderungen, die mit dem Nennwert anzusetzen sind, wenn nicht besondere Umstände einen höheren oder geringeren Wert begründen.

Im Folgenden soll erörtert werden, ob diese Auffassung insb. bei unternehmerisch aktiven und vermögensstarken "geschlossenen" (Familien-) Genossenschaften tatsächlich vertretbar erscheint. Zu möglichen Rückschlüssen aus § 97 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BewG s. Abschn. IV. 3.

2. Fundstellen in Verwaltungsanweisungen

Seitens der Finanzverwaltung werden Genossenschaftsanteile an mehreren Stellen explizit erwähnt, wobei sich diese Ausführungen nicht rein auf erbschaft-/schenkungsteuerliche Auslegungsfragen beschränken, aber dennoch bisweilen Rückschlüsse auf die Bewertung ebendieser zulassen.

a) R B 11.5 Abs. 3 Satz 6 ErbStR 2019 zum Substanzwert

R B 11.5 und 11.6 ErbStR 2019 dienen zur Erläuterung und Auslegung der Verwaltungsmeinung zum grundsätzlichen Ansatz und der Bewertung von Wirtschaftsgütern i.R.d. Substanzwerts, der gem. § 11 Abs. 2 Satz 3 BewG immer dann als Mindestwert anzusetzen ist, wenn er den nach dem vereinfachten Ertragswertverfahren (§§ 199203 BewG als simplifizierte Grundermittlung der erbschaft-/schenkungsteuerlichen Unternehmensbewertung) oder einer anderen betriebswirtschaftlichen Methode erhaltenen Unternehmenswert übersteigt. Die Verwaltung bestätigt diese Auslegung in R B 11.5 Abs. 1 ErbStR 2019:

"Der Substanzwert ist als Mindestwert nur anzusetzen, wenn der gemeine Wert nach dem vereinfachten Ertragswertverfahren oder mit einem Gutachtenwert (Ertragswertverfahren oder andere im gewöhnlichen Geschäftsverkehr für nichtsteuerliche Zwecke übliche Methode) ermittelt wird. Wird der gemeine Wert aus tatsächlichen Verkäufen unter fremden Dritten im gewöhnlichen Geschäftsverkehr abgeleitet, ist der Ansatz des Substanzwerts als Mindestwert ausgeschlossen."

Die einzige Legaldefinition des Substanzwerts ergibt sich aus § 11 Abs. 2 Satz 3 Halbs. 1 BewG:

"Die Summe der gemeinen Werte der zum Betriebsvermögen gehörenden Wirtschaftsgüter und sonstigen aktiven Ansätze abzüglich der zum Betriebsvermögen gehörenden Schulden ...

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