Leitsatz
Das einzelne Geschäftslokal eines Filialeinzelhandelsbetriebs ist in aller Regel auch dann eine wesentliche Betriebsgrundlage, wenn auf das Geschäftslokal weniger als 10 % der gesamten Nutzfläche des Unternehmens entfällt.
Normenkette
§ 15 EStG, § 2 GewStG
Sachverhalt
Eine GmbH, die an 10 Standorten in gepachteten Geschäftsräumen Parfümerie-Filialen unterhielt, hatte das Geschäftsgebäude einer Filiale von einer Ehegatten-GbR gepachtet, deren Gesellschafter 99 % der GmbH-Anteile hielten. Das betreffende Ladenlokal hatte eine Nutzfläche von 175 m² (9 % der gesamten Nutzfläche aller Filialen). Der Umsatzanteil der Filiale betrug zunächst gut 10 % und ging später auf etwa 8 % zurück. Während das Gesamtunternehmen Gewinne erzielte, ergaben sich für die Filiale immer Verluste.
Das FA ging von einer Betriebsaufspaltung aus und erließ einen GewSt-Messbescheid gegenüber der GbR. Die dagegen erhobene Klage hatte zunächst Erfolg. Das FG war der Meinung, das verpachtete Grundstück sei keine wesentliche Betriebsgrundlage der GbR, weil die Filiale nur eine geringe wirtschaftliche Bedeutung habe (FG Köln, Urteil vom 09.03.2006, 15 K 801/03, Haufe-Index 1512053, EFG 2006, 832).
Entscheidung
Der BFH teilte diese Auffassung nicht, hob die Vorentscheidung auf und wies die Klage ab.
Hinweis
1. Die Entscheidung betrifft die Frage, welche Anforderungen an eine sachliche Verflechtung bei Verpachtung von Geschäftsräumen an ein Filialunternehmen zu stellen sind. Eine sachliche Verflechtung liegt bekanntlich vor, wenn wesentliche Betriebsgrundlagen überlassen werden. Ein vom Betriebsunternehmen genutztes Grundstück ist nach heutiger Rechtsprechung nahezu immer eine wesentliche Betriebsgrundlage. Selbst einfache Büroräume in einem Einfamilienhaus, die vom Gesellschafter der Betriebs-GmbH genutzt werden, sieht der BFH mittlerweile als wesentliche Betriebsgrundlage an (BFH, Urteil vom 13.07.2006, IV R 25/05, BFH/NV 2006, 2182, BFH/PR 2006, 484).
2. In Bezug auf Filialunternehmen war im Anschluss an eine BFH-Entscheidung aus dem Jahr 1992 (BFH, Urteil vom 04.11.1992, XI R 1/92, Haufe-Index 64408, BStBl II 1993, 245) darüber diskutiert worden, ob das zum Betrieb einer einzigen Filiale überlassene Grundstück keine wesentliche Betriebsgrundlage ist, wenn die Filiale nur geringe Bedeutung für das Gesamtunternehmen hat. Im damaligen Fall hatte der Flächenanteil einer von 6 Filialen 22 % ausgemacht, was der BFH als nicht unwesentlich beurteilte. Im Schrifttum wurde daraufhin etwa vertreten, dass bei einer Größenrelation von weniger als 10 % keine wesentliche Betriebsgrundlage anzunehmen sei.
3. Mit dem Besprechungsurteil schließt sich der BFH dieser Auffassung zur Größenrelation bezogen auf die Nutzfläche nicht an. Er lehnt auch eine Größengrenze in Bezug auf den Umsatz- oder Gewinnanteil ab. Für ein Filialunternehmen sind nach seiner Auffassung grundsätzlich alle Filialen ungeachtet ihrer einzelnen Größe wesentlich, weil die Struktur des Unternehmens darauf angelegt sei, an mehreren Standorten vertreten zu sein, und alle Standorte zu dem Geschäftserfolg beitragen. Selbst wenn die einzelne Filiale Verluste erwirtschaftet, erfüllt sie deshalb eine wesentliche Funktion für das Gesamtunternehmen. Andernfalls würde sie nämlich geschlossen werden.
4. Nur in seltenen Einzelfällen kommt nach dem Besprechungsurteil eine Ausnahme von der Wesentlichkeit der überlassenen Filialräume in Betracht. Der BFH erwähnt etwa den Fall, dass das Grundstück nur für begrenzte Zeit zur Überbrückung der Raumprobleme bei einem Umzug oder der Neueröffnung einer Filiale überlassen wird. Eine Ausnahme wird auch zu machen sein, wenn der Grundstücksteil nach § 8 EStDV nicht als Betriebsvermögen behandelt werden muss (Wert des betrieblich genutzten Grundstücksteils macht nicht mehr als 20 % des Gesamtwerts des Grundstücks aus und beträgt absolut nicht mehr als 20 500 EUR).
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 19.03.2009 – IV R 78/06