BMF, Schreiben vom 19.7.2022, III C 3 – S 7189/20/10001 :001 (DOK 2022/0744072), BStBl I 2022, 1208
Gemäß Artikel 12 Nr. 5 Buchstabe g und h sowie Artikel 39 Abs. 2 des Gesetzes zur weiteren steuerlichen Förderung der Elektromobilität und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften (JStG 2019) wurde zum 1. Januar 2020 in § 4 Nr. 29 UStG eine Steuerbefreiung für sonstige Leistungen von selbständigen Personenzusammenschlüssen an ihre Mitglieder für unmittelbare Zwecke ihrer dem Gemeinwohl dienenden nicht steuerbaren oder ihrer nach § 4 Nr. 11b, 14 bis 18, 20 bis 25 oder 27 steuerfreien Umsätze eingeführt. In diesem Zusammenhang ist außerdem gemäß Artikel 12 Nr. 5 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc und Artikel 39 Abs. 2 des JStG 2019 zum 1. Januar 2020 die bisherige Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 14 Buchstabe d UStG für Personenzusammenschlüsse im medizinischen Bereich aufgehoben worden.
Unter Bezugnahme auf die Erörterung mit den obersten Finanzbehörden der Länder gilt hierzu Folgendes:
I. Unionsrechtliche Grundlagen
Die Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 29 UStG für die Leistungen von selbständigen Personenzusammenschlüssen an ihre Mitglieder beruht auf Artikel 132 Abs. 1 Buchstabe f der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (sog. Mehrwertsteuer-Systemrichtlinie – MwStSystRL). Nach dieser Vorschrift befreien die Mitgliedstaaten von selbständigen Personenzusammenschlüssen erbrachte Dienstleistungen, wenn sie unmittelbar zur Ausübung von Tätigkeiten beitragen, die dem Gemeinwohl dienen, soweit diese Zusammenschlüsse von ihren Mitgliedern lediglich die genaue Erstattung des jeweiligen Anteils an den gemeinsamen Kosten fordern, vorausgesetzt, dass diese Befreiung nicht zu einer Wettbewerbsverzerrung führt.
Ziel der Regelung ist es, bestimmte dem Gemeinwohl dienende Tätigkeiten von der Umsatzsteuer zu befreien, um den Zugang zu diesen Leistungen unter Vermeidung von höheren Kosten zu erleichtern, die entstehen würden, wenn diese Leistungen umsatzsteuerpflichtig wären. Zudem soll durch die Befreiung ein Wettbewerbsnachteil desjenigen, der z. B. wegen mangelnder Unternehmensgröße dem Gemeinwohl dienende Leistungen einkaufen muss, im Vergleich zu demjenigen vermieden werden, der die Leistungen durch eigene Angestellte oder im Rahmen einer Organschaft erbringen lassen kann.
II. Leistungen von selbständigen Personenzusammenschlüssen (§ 4 Nr. 29 UStG)
1. Begünstigte Zusammenschlüsse
§ 4 Nr. 29 UStG befreit sonstige Leistungen von im Inland ansässigen selbständigen Personenzusammenschlüssen an ihre im Inland ansässigen Mitglieder für unmittelbare Zwecke ihrer dem Gemeinwohl dienenden nicht steuerbaren oder ihrer nach § 4 Nr. 11b, 14 bis 18, 20 bis 25 oder 27 steuerfreien Umsätze.
1.1. Selbständigkeit des Personenzusammenschlusses
Bei einem Personenzusammenschluss handelt es sich grundsätzlich um einen Zusammenschluss mehrerer Personen (Mitglieder) zur Erreichung eines gemeinsamen wirtschaftlichen Ziels, z. B. der Erbringung von Dienstleistungen. Bei dem Personenzusammenschluss im Sinne des § 4 Nr. 29 UStG muss es sich um einen eigenständigen (selbständigen), d. h. von den jeweiligen Mitgliedern verschiedenen Steuerpflichtigen handeln, der Unternehmer im Sinne des § 2 Abs. 1 UStG ist. Der Begriff des Zusammenschlusses erfordert, dass sich dabei mindestens zwei Mitglieder zusammenschließen; eine bloße Vereinbarung zur Kostenteilung unter mehreren Unternehmern bzw. Nichtunternehmern (sog. Aufwandpool) genügt nicht.
Auf die Rechtsform des Personenzusammenschlusses kommt es nicht an; Personenzusammenschlüsse können Zusammenschlüsse von natürlichen und/oder juristischen Personen sowie Personenvereinigungen sein. Es kommt auch nicht auf die Bezeichnung der zusammengeschlossenen Personen als Mitglieder an; Mitglieder in diesem Sinne können beispielsweise Gesellschafter, Anteilseigner oder Träger sein.
Als Personenzusammenschlüsse im Sinne des § 4 Nr. 29 UStG kommen insbesondere in Betracht:
- Personen- und Kapitalgesellschaften,
- Genossenschaften,
- Vereine,
- Wohnungs- und Teileigentümergemeinschaften nach dem WEG oder
- am Rechtsverkehr teilnehmende Bruchteilsgemeinschaften.
Zweckverbände, Berufsverbände, Anstalten des öffentlichen Rechts und andere juristische Personen des öffentlichen Rechts (jPöR) kommen ebenfalls in Betracht, nicht jedoch Stiftungen.
1.2. Begünstigte Leistungen des Personenzusammenschlusses
Zur Inanspruchnahme der Umsatzsteuerbefreiung muss der Zusammenschluss seine Leistungen an ein Mitglied oder mehrere seiner Mitglieder bewirken. Hierbei wird nicht vorausgesetzt, dass die Leistungen hinsichtlich Art und Umfang stets allen Mitgliedern gegenüber in gleicher Weise erbracht werden (vgl. EuGH-Urteil vom 11. Dezember 2008, C-407/07, Stichting Centraal Begeleidingsorgaan voor de Intercollegiale).
Die Anwendbarkeit des § 4 Nr. 29 UStG setzt nicht voraus, dass der Personenzusammenschluss seine Leistungen ausschließlich an seine Mitglieder erbringt. Die Anwendbarkeit der Befreiung ...