a) Ausnutzung des Steuersatzgefälles
Mit Urteil v. 7.5.2019 (BFH v. 7.5.2019 – VIII R 29/15, BStBl. II 2019, 751) hat der BFH entschieden, dass § 20 Abs. 2b S. 2 EStG nicht dahin verstanden werden kann, dass ein vorgefertigtes Konzept i.S.d. § 15b Abs. 2 S. 2 EStG stets dann vorliegt, wenn sich ein Verlust im Rahmen der Anwendung des progressiven Steuersatzes auswirkt, während ein Gewinn lediglich dem Abgeltungsteuersatz unterliegt. Weiterhin stellte er klar, dass aus der Ausnutzung des Steuersatzgefälles nicht auf eine missbräuchliche Gestaltung i.S.d. § 42 AO geschlossen werden kann. Dabei konnte er dahingestellt lassen, ob die Anwendung des § 42 AO im Streitfall bereits deshalb ausgeschlossen ist, weil die §§ 20 Abs. 2b S. 2, 15b EStG als speziellerer Missbrauchstatbestand lex specialis und damit vorrangig und ausschließlich anwendbar sind. Denn ein Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten gem. § 42 AO liegt nicht vor, da Vorteile aufgrund unterschiedlicher Steuersätze der Schedulenbesteuerung immanent sind (so auch BFH v. 7.5.2019 – VIII R 29/15, BFH/NV 2019, 966).
b) Schenkung und Veräußerung von Aktien
Verschenkt der Aktionär an seine minderjährigen Kinder jeweils fünf Aktien und veräußern diese jeweils zwei Aktien an einen dritten Erwerber, genügt ein enger zeitlicher Zusammenhang zwischen Schenkung und Veräußerung allein nicht, um von einer steuerlich unbeachtlichen Zwischenschaltung der Kinder (Gestaltungsmissbrauch) auszugehen, wenn nicht festgestellt ist, dass der Verkauf der Aktien vor der Schenkung bereits verhandelt und beschlossen war (BFH v. 17.4.2018 – IX R 19/17, BFH/NV 2018, 1081).
c) Abtretung von Gesellschafterforderungen
Die Abtretung von Gesellschafterforderungen im Zusammenhang mit einem sog. Mantelkauf ist nicht stets als Gestaltungsmissbrauch i.S.v. § 42 AO anzusehen und wie ein Forderungsverzicht zu behandeln (BFH v. 11.12.2018 – VIII R 21/15, BFH/NV 2019, 542).
d) Inkongruente Gewinnausschüttungen
Fließen einem Gesellschafter aufgrund wirksamer Gesellschafterbeschlüsse Gewinnausschüttungen disquotal zu (inkongruente Gewinnausschüttungen), kann steuerrechtlich bei den Gesellschaftern nicht fiktiv ein Zufluss von Kapitaleinkünften im Verhältnis ihrer Geschäftsanteile zugrunde gelegt werden. Die Gewinnverteilungsbeschlüsse sind in einem solchen Fall auch nicht gestaltungsmissbräuchlich i.S.d. § 42 AO. Denn die Anwendung von § 42 AO ist ausgeschlossen, wenn der Steuerpflichtige für die gewählte Gestaltung außersteuerliche Gründe nachweist, die nach dem Gesamtbild der Verhältnisse beachtlich sind (§ 42 Abs. 2 AO). Im entschiedenen Streitfall war es nicht zu einem unangemessenen steuerlichen Vorteil gekommen, da weder bei den Steuerpflichtigen noch bei einer dritten Person ein unangemessener steuerlicher Vorteil eingetreten war (FG Münster v. 6.5.2020 – 9 K 3359/18 E,AO, EFG 2020, 1603, Rev. eingelegt, Az. des BFH: VIII R 20/20).
e) Kauf und Verkauf gegenläufiger Hochrisikozertifikate
Der zeitlich eng zusammenhängende Kauf und Verkauf gegenläufiger Hochrisikozertifikate stellt weder Gestaltungsmissbrauch i.S.d. § 42 AO dar, noch liegt ein Fall der Gesamtplanrechtsprechung vor, wenn hierdurch im ersten Jahr Altverluste i.S.d. § 23 EStG a.F. ausgeglichen werden sollen und spiegelbildlich im Folgejahr Verluste entstehen, die mit laufenden Gewinnen i.S.d. § 20 EStG verrechnet werden können. Im Streitfall hatte der Steuerpflichtige Bear-Zertifikate veräußert und unter Berücksichtigung von § 20 Abs. 4 S. 1 EStG einen Veräußerungsgewinn erzielt. Diesen Gewinn hatte er gem. § 23 Abs. 3 S. 9 und 10 EStG a.F. mit bereits realisierten Verlusten i.S.d. § 23 EStG in der bis zum 31.12.2007 geltenden Fassung verrechnet. Erst im darauf folgenden Veranlagungsjahr hatte er Verluste i.S.d. § 20 Abs. 2 EStG aus der Veräußerung der Bull-Zertifikate erzielt, deren Verrechnung mit laufenden Gewinnen i.S.d. § 20 Abs. 1 EStG gesetzlich nicht ausgeschlossen ist (FG Münster v. 29.9.2020 – 6 K 1176/17 E, EFG 2021, 198).
f) Missbrauch der Missbrauchsverhinderungsvorschrift
Gestaltungsmissbrauch i.S.d. § 42 Abs. 1 S. 1 AO kann trotz Vorliegens einer speziellen Missbrauchsverhinderungsvorschrift i.S.d. § 42 Abs. 1 S. 2 AO gegeben sein, wenn der Steuerpflichtige die Missbrauchsvorschrift selbst missbraucht, um einen nicht gerechtfertigten Steuervorteil zu erlangen. Das FG München kommt zu dem Ergebnis, dass die Verlagerung von eigentlich dem Bereich der Abgeltungsteuer unterfallenden Verlusten in den Bereich der tariflichen ESt durch Einschaltung einer für diesen Zweck gegründeten GmbH (sog. Bondstripping) rechtsmissbräuchlich i.S.d. § 42 AO ist.
Das FG ist der Überzeugung, dass die Gründung und Zwischenschaltung der GmbH in die Veräußerung der Stammrechte keinen anderen Zweck hatte als den, die durch die Veräußerung der Anleihemäntel nach der Berechnung des Steuerpflichtigen erzielten Verluste – anders als die dem Abgeltungssteuersatz unterliegenden errechneten positiven Einkünfte aus der Veräußerung der Zinsscheine – in den Anwendungsbereich der dem allgemeinen Steuertarif unterliegende Einkünfte zu verlagern und zum Ausgleich seiner erheblichen Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit zu verwenden.
Im Streitfall machte der Steuerpflichtige von der spezialgesetzlichen Umgehungsvorschr...