Leitsatz
Die Veräußerung des vierten Objekts im Rahmen eines gewerblichen Grundstückshandels ist kein rückwirkendes Ereignis i.S. von § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO. Eine sog. betriebsnahe Veranlagung, der keine förmliche Prüfungsanordnung i. S. von §196 AO zugrunde liegt, hemmt nicht den Ablauf der Festsetzungsfrist nach § 171 Abs. 4 AO.
Zum Sachverhalt: An der Klägerin, einer GbR, waren die Eheleute X zu je ½ beteiligt. Die Eheleute X hatten 1980 bis 1989 als Miteigentümer zu je ½ vier Mietwohnhäuser erworben und diese nach vorübergehender Vermietung und umfangreicher Instandsetzung in den Jahren 1982, 1984, 1985 und 1989 veräußert. Die Eheleute wurden für 1980 bis 1989 mit bestandskräftigen Steuerbescheiden zur Einkommensteuer zusammen veranlagt. Dabei wurden die Einkünfte aus den Grundstücksverkäufen nicht erfasst. Ende 1992 fand bei den Eheleuten eine Überprüfung im Rahmen einer betriebsnahen Veranlagung statt.
Nunmehr beurteilte das Finanzamt die Tätigkeit der Klägerin als gewerblichen Grundstückshandel und erließ am 26. 1. 1993 entsprechende Gewinnfeststellungsbescheide 1980 bis 1989. Den Gewinn für das Streitjahr 1985 stellte es auf 1,5 Mio. DM fest. Das Finanzamt sah in der Veräußerung des vierten Objekts im Jahr 1989 ein rückwirkendes Ereignis i. S. von § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO. Das FG wies die dagegen gerichtete Klage ab. Die Revision der Klägerin hatte Erfolg und führte zur Klagestattgabe.
1. Der Beginn der Feststellungsfrist ist nicht nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr.2 AO hinausgeschoben worden. Die Veräußerung des vierten Mietwohngrundstücks 1989 war kein rückwirkendes Ereignis. Die Voraussetzungen des § 175 Abs. 1 Satz1 Nr. 2 AO liegen nicht vor, wenn das Finanzamt lediglich nachträglich Kenntnis von einem bereits gegebenen Sachverhalt erlangt oder wenn es den Sachverhalt lediglich anders würdigt. Letzteres traf im Streitfall zu.
2. § 171 AO unterscheidet deutlich zwischen "Außenprüfungen" und "sonstigen Ermittlungsmaßnahmen" (vgl. § 171 Abs. 4 und 6 AO). Während der Beginn einer Außenprüfung nach § 171 Abs. 4 AO regelmäßig eine Hemmung der Festsetzung- oder Feststellungsfrist für die Steuern, auf die sich die Außenprüfung erstreckt, bewirkt, tritt diese Rechtsfolge bei "sonstigen Ermittlungsmaßnahmen" der Finanzbehörden nur unter den besonderen Voraussetzungen des § 171 Abs. 6 AO ein. Die betriebsnahe Veranlagung ist im Allgemeinen keine Außenprüfung i. S. des § 171 Abs. 4 AO. Im Streitfall hat sich das FA zwar bei der Durchführung der betriebsnahen Veranlagung nicht auf Ermittlungen bezüglich unklarer Punkte eines bestimmten Besteuerungszeitraums und einer bestimmten Steuerart beschränkt, sondern die Grundstücksgeschäfte der Klägerin sowohl in einkommensteuer- wie in gewerbesteuerrechtlicher Sicht für einen Zeitraum von mehreren Jahren umfassend untersucht. Wenngleich diese Ermittlungstätigkeit in ihrem Gewicht und ihrer Intensität nach einer Außenprüfung gleichkommt, ist durch den Beginn dieser Ermittlungen der Ablauf der Feststellungsfrist dennoch nicht gehemmt worden, weil diesen Maßnahmen keine entsprechende Prüfungsanordnung zugrunde lag.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 06.07.1999, VIII R 17/97
Hinweise:
1. Die Veräußerung des vierten Objekts 1989 stellte zwar ein Ereignis i. S. von § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO dar; jedoch kam diesem Ereignis keine Rückwirkung i.S. dieser Bestimmung zu. Ein gewerblicher Grundstückshandel setzt voraus, dass der Steuerpflichtige die Absicht verfolgt, seinen Grundbesitz nicht in erster Linie zur Fruchtziehung, sondern zur Verwertung der Vermögenssubstanz einzusetzen. Dieser gewerbliche Betätigungswille muss schon bei dem ersten der in die Gesamtwürdigung einzubeziehenden Veräußerungsvorgänge vorliegen (vgl. z. B. BFH, Urteil v. 13. 1. 1993, X R 139/90, BFH/NV 1993 S. 474). Die späteren Ereignisse (wie hier der Verkauf in 1989) bestätigen lediglich die im Streitjahr vorhandene Absicht der GbR, sich gewerblich auf dem Grundstücksmarkt zu betätigen. Sie haben bewirkt, dass das FA seine ursprüngliche Beurteilung des im Streitjahr verwirklichten Sachverhalts geändert hat. Dies rechtfertigt nicht die Anwendung des § 175 Abs. 1 Satz 2 i. V. m. Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO.
2. Eine Außenprüfung ist nur bei einer besonders qualifizierten Maßnahme anzunehmen, die für den Steuerpflichtige als Betriebsprüfung i.S. der §§ 193 ff. AO erkennbar ist und geeignet erscheint, sein Vertrauen in den Ablauf der Verjährungsfrist zu beseitigen (BFH, Urteil v. 15. 12. 1989, VI R 151/86, BStBl 1990 II S. 526 m. w. N.). Diese Voraussetzung erfüllte die im Streitfall vorgenommene "betriebsnahe Veranlagung" nicht. Seit Inkrafttreten der AO 1977 setzt die Ablaufhemmung durch eine Außenprüfung voraus, dass eine förmliche Prüfungsanordnung erlassen wurde und tatsächlich Prüfungshandlungen für die in der Prüfungsanordnung genannten Steuerarten und Besteuerungs- oder Feststellungszeiträume vorgenommen wurden (vgl. z. B. BFH, Urteil v. 18. 7. 1991, V R 54/87, BStBl 1991 II S. 824). Durch den Inhalt der ...