M.E. ist § 52d FGO auch im Rahmen von § 47 Abs. 2 FGO zu beachten, d.h. die Klage ist vom Berater auch bei der Anbringung bei der Behörde elektronisch einzureichen. Hierfür sind verschiedene Argumente anzuführen:
1. § 52d FGO gilt umfassend
§ 52d FGO gilt nach seinem Wortlaut und nach dem Willen des Gesetzgebers umfassend. So lässt sich dem Wortlaut des § 52d FGO keine Einschränkung dahingehend entnehmen, dass die Vorschrift nur für die Klageerhebung direkt beim Finanzgericht gelten soll. Eine Ausnahme ist im Gesetz nur in § 52d S. 3 FGO (vorübergehende technische Unmöglichkeit) geregelt. Weitere Ausnahmen sieht das Gesetz gerade nicht vor.
Außerdem wollte der Gesetzgeber mit Einführung des § 52d FGO die verpflichtende elektronische Kommunikation durch sog. "professionelle Verfahrensbeteiligte" umfassend regeln und nicht länger an einer freiwilligen Nutzung der elektronischen Kommunikation festhalten (Schallmoser in Hübschmann/Hepp/Spitaler: AO/FGO, § 52d FGO Rz. 6 m.w.N. [267. Lfg. März 2022]). Eine umfassende Regelung wird jedoch nur erreicht, wenn § 52d FGO auch im Rahmen des § 47 Abs. 2 FGO zu beachten ist, da ansonsten eine "leichte Umgehungsmöglichkeit" besteht, wenn die Klage quasi formlos bei der Behörde angebracht werden könnte.
2. § 47 Abs. 2 FGO betrifft nur die Frist, nicht die Form
§ 47 FGO betrifft die Frist und nicht die Form (vgl. auch Überschrift: "Frist zur Klageerhebung"). § 47 Abs. 2 FGO will im Interesse der Kläger den Zugang zum Gericht erleichtern (BFH v. 28.2.1978 – VIII R 112/75, BFHE 124, 494 = BStBl. II 1978, 376; Brandis in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 47 FGO Rz. 8 [170. Lfg. Mai 2022]). Zur Fristwahrung genügt es, wenn die Klage innerhalb der Frist bei der im Gesetz bezeichneten Behörde angebracht oder zu Protokoll erklärt wird. Nach praktisch einhelliger Auffassung befreit § 47 Abs. 2 FGO hingegen nicht von den Anforderungen des § 52a FGO (FG Münster v. 26.4.2017 – 7 K 2792/14 E, AO-StB 2017, 301, juris; FG Hamburg, Gerichtsbescheid v. 22.1.2019 – 2 K 212/18, juris; FG Berlin-Bdb., Gerichtsbescheid v. 2.5.2019 – 7 K 7019/19, juris; Brandis in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 52a FGO Rz. 3 [169. Lfg. Februar 2022]; von Beckerath in Gosch, AO/FGO, § 47 FGO Rz. 164 [177. Lfg. Sept. 2023]; Thürmer in Hübschmann/Hepp/Spitaler: AO/FGO, § 52a FGO Rz. 22 [272. Lfg. Januar 2023]; Gräber/Teller, FGO, 9. Aufl. 2019, § 47 Rz. 22; Finster in Ory/Weth, jurisPK-ERV Band 3, 2. Aufl. 2022, § 47 FGO Rz. 32). Es sind keine Gründe dafür erkennbar, an eine beim Finanzamt eingereichte Klage geringere Formalanforderungen als an eine unmittelbar beim Finanzgericht erhobene Klage zu stellen. Die Authentizität und die Verbindlichkeit der Klage müssen bei einer auf diese Weise erhobenen Klage gleichermaßen sichergestellt werden. Das FA fungiert nur im Hinblick auf die Fristwahrung quasi als "Briefkasten" des Finanzgerichts, weitere Erleichterungen sieht das Gesetz nicht vor. Anderenfalls würden die gesteigerten formalen Anforderungen, wie bereits ausgeführt, auch obsolet, wenn über den Weg der Anbringung gem. § 47 Abs. 2 FGO mühelos per E-Mail bzw. formlos Klage erhoben werden könnte.
3. § 47 Abs. 2 FGO bereits an elektronische Kommunikation angepasst
§ 47 Abs. 2 FGO wurde vom Gesetzgeber auch für die elektronische Kommunikation angepasst. So wurde durch das Justizkommunikationsgesetz vom 22.3.2005 (BGBl. I 2005, 837) § 47 Abs. 2 S. 2 FGO neu gefasst. Danach ist das Wort "übersenden" durch "übermitteln" ersetzt worden. Damit sollte § 47 Abs. 2 S. 2 den Gegebenheiten des elektronischen Rechtsverkehrs angepasst werden, d.h. auch die Übermittlung elektronischer Dokumente sollte einbezogen werden (D. Steinhauff in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 47 FGO Rz. 140 [263. Lfg. Juni 2021]). Die Finanzämter können auch EGVP-Nachrichten (EGVP = elektronisches Gerichts- und Verwaltungspostfach) empfangen (vgl. hierzu Finster in Ory/Weth, jurisPK-ERV Band 3, 2. Aufl. 2022, § 47 FGO Rz. 23 ff.).
4. Auch der Zweck des § 47 Abs. 2 FGO steht nicht entgegen
Schließlich steht einer Anwendung des § 52d FGO auch im Falle der Anbringung der Klage bei der Behörde, der Gesetzeszweck des § 47 Abs. 2 FGO, den Zugang zum Gericht zu erleichtern, nicht entgegen. Für steuerlich vertretene Steuerpflichtige ist es im Zeitalter der elektronischen Kommunikation unerheblich, wie weit das nächste Finanzgericht entfernt ist. Da der Berater ohnehin verpflichtet ist, ein elektronisches Postfach (beA, beSt) vorzuhalten, ist die elektronische Kommunikation mit der Behörde bzw. dem Gericht völlig unabhängig von der Entfernung zum Finanzgericht möglich. Das praktische Bedürfnis für § 47 Abs. 2 FGO wird deshalb angesichts der zunehmenden elektronischen Kommunikation abnehmen (Brandis in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 47 FGO Rz. 8 [170. Lfg. Mai 2022]). Für nicht vertretene Steuerpflichtige besteht hingegen nach wie vor ein Bedürfnis, den Weg zu einem häufig entfernt liegenden Finanzgericht zu ersparen, und die Klage bei der Finanzbehörde (auch auf nicht elektronischem Wege) anbringen zu können.
Beraterhinweis Es ist dringend zu empfehlen, bis zu einer höchstrichterlichen Klärung als Berater sicherheitshalber § 52d FGO auch im Rahmen von § 47 Abs. 2 FGO zu beachten, d.h. auch bei Anbring...