Leitsatz
Es verstößt nicht gegen die RL 69/335/EWG, dass eine Anteilsvereinigung in der Hand einer Aktiengesellschaft, zu der es dadurch kommt, dass im Zug einer Kapitalerhöhung Anteile an einer mittelbar oder unmittelbar grundbesitzenden Gesellschaft gegen Gewährung neuer Aktien eingebracht werden, nach § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG grunderwerbsteuerpflichtig ist.
Normenkette
§ 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG, Art. 4, Art. 5, Art. 10, Art. 11, Art. 12 der RL 69/335/EWG
Sachverhalt
Die X-AG hielt 81 % der Aktien an der Y-AG, als die Z-AG die restlichen 19 % der Aktien im Dezember 1999 im Zug einer Kapitalerhöhung gegen Gewährung neuer Aktien in die X-AG einbrachte. Die Y-AG war zu 100 % an einer grundbesitzenden AG beteiligt.
Das FA sah darin eine steuerpflichtige Anteilsvereinigung in der Hand der X-AG nach § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG. Dagegen war die Klägerin, eine Rechtsnachfolgerin der X-AG, der Ansicht, die Heranziehung zu GrESt verstoße gegen die RL 69/335/EWG.
Entscheidung
Der BFH verneinte einen derartigen Verstoß. Bei § 1 Abs. 3 GrEStG gehe es nicht um die Besteuerung gesellschaftsrechtlicher Vorgänge. Vielmehr erfasse die Vorschrift die infolge der Vereinigung aller Anteile (ab 01.01.2000: mindestens 95 % der Anteile) einer Gesellschaft mit Grundbesitz in einer Hand spezifisch veränderte Zuordnung von Grundstücken. Der Inhaber aller Anteile werde so besteuert, als gehörten ihm die im Eigentum der Gesellschaft stehenden Grundstücke. Dabei sei unerheblich, ob sich die Anteile in der Hand einer Gesellschaft oder einer natürlichen Person vereinigen. Befinden sich keine Grundstücke im Eigentum der Gesellschaft, an der die vereinigten Anteile gehalten werden, falle auch keine GrESt an.
Hinweis
1. Nach Art. 10 der RL 69/335/EWG dürfen die Mitgliedstaaten der EU vorbehaltlich des Art. 12 dieser RL auf die Erhöhung des Kapitals einer Kapitalgesellschaft durch Einlagen jeder Art nur eine Gesellschaftsteuer erheben. Jede andere Steuer, die die gleichen Merkmale aufweist wie eine Gesellschaftsteuer, wäre europarechtswidrig. Die Tatbestände des § 1 Abs. 3 GrEStG erfassen jedoch nicht die Einlagevorgänge, sondern die damit verbundene Veränderung in der Zuordnung von Grundstücken. Dies zeigt sich insbesondere dann, wenn etwa eine Anteilsvereinigung in der Hand einer natürlichen Person eingetreten ist. Dann scheidet ein Einlagevorgang aus; gleichwohl wird die Steuer nach § 1 Abs. 3 GrEStG erhoben.
Auch die Bemessungsgrundlage für die GrESt ist nicht mit der einer Gesellschaftsteuer vergleichbar (Art. 5 Abs. 1 Buchst. a der RL). Sie richtet sich nicht nach dem Wert der Einlage, sondern lediglich nach dem Grundstückswert. Ein Zusammenhang mit Art. 11 der RL besteht nicht.
2. Sollte die GrESt trotz allem von der RL erfasst werden -- weil sie durch eine Einlage in Form von Aktien ausgelöst wurde --, käme der Vorbehalt in Art. 12 Abs. 1 Buchst. a und b der RL zum Tragen.
Buchst. a erlaubt es den Mitgliedstaaten, eine Börsenumsatzsteuer zu erheben. Dabei ist im Fall von Aktien unerheblich, ob die Gesellschaft, die die Aktien ausgegeben hat, zum Börsenverkehr zugelassen ist und ob die Aktienübertragung über die Börse oder direkt zwischen Erwerber und Veräußerer erfolgt. Die Einlage von Aktien gegen Gewährung eigener Aktien dürfte also neben der Gesellschaftsteuer einer Börsenumsatzsteuer unterworfen werden. Wollte man der Steuer nach § 1 Abs. 3 GrEStG die Eigenschaft, GrESt zu sein, absprechen, müsste man ihr die Eigenschaft einer solchen Börsenumsatzsteuer zuerkennen.
Nach Buchst. b des Art. 12 Abs. 1 der RL sind darüber hinaus auch Besitzwechselsteuern auf die Einbringung von Grundstücken in eine Gesellschaft, Personenvereinigung oder juristische Person mit Erwerbszweck zulässig. Demnach sind neben der Gesellschaftsteuer solche Steuern zulässig, deren Entstehungstatbestand objektiv mit der Übertragung des Eigentums an Grundstücken zusammenhängt. Auch dies träfe auf die gem. § 1 Abs. 3 GrEStG festzusetzende Steuer zu. Sie betrifft einen fiktiven Besitzwechsel an Grundstücken.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 19.12.2007, II R 65/06