Inhaltlich ist das Verschulden auf das nachträgliche Bekanntwerden gerichtet (vgl. hierzu Szymczak in Koch/Scholz, AO, 5. Aufl., § 173 Rz. 19) und resultiert – nicht zuletzt auch hinsichtlich der verschuldensabhängigen bzw. verschuldensunabhängigen Differenzierung nach steuererhöhenden und steuermindernden Tatsachen und Beweismitteln – aus der Steuererklärungspflicht als der primären Mitwirkungspflicht des Steuerpflichtigen (in diesem Sinne auch BFH v. 12.5.1989 – III R 200/85, BStBl. II 1989, 920 [921]). Unter diese fällt nicht nur die Pflicht zur Abgabe der Steuererklärung nach § 149 Abs. 1 AO, sondern auch die Pflicht,
- gem. § 150 Abs. 2 AO die Steuererklärung wahrheitsgemäß nach besten Wissen und Gewissen zu tätigen,
- gem. § 150 Abs. 4 Satz 1 AO die geforderten Unterlagen vorzulegen sowie
- gem. 153 AO die abgegebene Erklärung zu berichtigen
(vgl. hierzu Loose in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 173 AO Rz. 74; von Wedelstädt in Gosch, AO/FGO, § 173 AO Rz. 82).
Verschulden bezüglich Mitwirkungspflichten: Inhaltlich kann sich das Verschulden daher nur auf die Verletzung einer Pflicht beziehen, weshalb für das Steuerverfahren nur die Mitwirkungspflichten in Betracht kommen (vgl. Koenig in Koenig, AO, 4. Aufl. 2021, § 173 AO Rz. 112; Loose in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 173 AO Rz. 74; von Wedelstädt in Gosch, AO/FGO, § 173 AO Rz. 82). Der Steuerpflichtige ist gem. § 90 Abs. 1 AO zur Angabe von vollständigen und wahrheitsgemäßen für die Besteuerung erheblichen Tatsachen und Beweismitteln als auch die wahrheitsgemäße Offenlegung der erheblichen Tatsachen und Beweismittel zur Aufklärung des Sachverhalts verpflichtet (vgl. hierzu Koenig in Koenig AO, 4. Aufl., § 173 Rz. 112; Loose in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 173 AO Rz. 74; Rätke in Klein, AO, 15. Aufl., § 90 Rz. 6). Demzufolge bezieht sich das grobe Verschulden auf die Verletzung einer solchen Pflicht und die daraus resultierende Unkenntnis der Finanzbehörden hinsichtlich der Tatsachen und Beweismittel, die durch den Steuerpflichtigen anzugeben sind (vgl. hierzu Loose in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 173 AO Rz. 74).
Objektiver oder subjektiver Verschuldensbegriff?: Fraglich ist im Rahmen der Auslegung des Tatbestandsmerkmal "grobes Verschulden" aber, ob in Anlehnung an das Zivilrecht von einem objektiven oder subjektiven Verschuldensbegriff auszugehen ist.
Ein subjektiver Verschuldensbegriff orientiert sich an der persönlichen Verantwortung des Rechtsverpflichteten und bezieht daher persönliche Verhältnisse des Steuerpflichtigen zur Ermittlung des Sorgfaltsmaßstabs ein (so auch Friedl, DStR 1991, 1616 [1616]). Anhand der Gegebenheiten des Einzelfalls und den individuellen Kenntnissen und Fähigkeiten wird sodann ein individueller Beurteilungsmaßstab für den Verschuldungsgrad abgeleitet.
Demgegenüber würde ein objektiver Verschuldensbegriff bei der Bestimmung des Maßstabes für die Fahrlässigkeit die individuellen Fähigkeiten zur Voraussicht und zur Vermeidung des missbilligenden Erfolgs außer Acht lassen (Caspers in Staudinger BGB, § 276 BGB Rz. 29. So auch Grundmann in MünchKomm/BGB, § 276 BGB Rz. 55) und sich daran orientieren, wie sich ein gewissenhafter, besonnener Angehöriger eines jeweiligen Verkehrskreises in der betreffenden Lage verhalten hätte (Schulze in Schulze, Bürgerliches Gesetzbuch, 10. Aufl., § 276 BGB Rz. 13; Stadler in Jauernig, Bürgerliches Gesetzbuch 18. Aufl., § 276 BGB Rz. 29). Ausschlaggebend für die Ermittlung des Sorgfaltsmaßstabs sind daher insoweit die im Verkehr verlangten Fähigkeiten ohne Rücksicht auf die individuellen Kenntnisse und Fähigkeiten des Betroffenen (BGH v. 31.5.1994 – VI ZR 233/93, NJW 1994, 2232).
Da die AO das Verschulden weder im Allgemeinen noch das grobe Verschulden im Besonderen näher beschreibt, ist dies durch eine Auslegung nach dem Normzweck zu ermitteln.