Inhaltlich knüpft das Verschulden im Steuerverfahren an die Verletzung der Mitwirkungspflichten des Steuerpflichtigen an (Koenig in Koenig AO, 4. Aufl., § 173 AO Rz. 112; Kühn / Hofmann, AO, 17. Aufl., § 173, Tz. 6 lit. a.). Daher bezieht sich das Verschulden im Kontext des § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO sowohl auf die Verletzung der Pflicht zur Angabe von steuerlich vollständigen, wahrheitsgemäßen und erheblichen Tatsachen und Beweismittel als auch auf die wahrheitsgemäße Offenlegung der erheblichen Tatsachen und Beweismittel zur Aufklärung des Sachverhalts (vgl. hierzu Koenig in Koenig AO, 4. Aufl., § 173 AO Rz. 112; Loose in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 173 AO Rz. 74). Des Weiteren ist das Verschulden inhaltlich auf das nachträgliche Bekanntwerden gerichtet (vgl. hierzu Szymczak in Koch/Scholz, AO, 5. Aufl., § 173 Rz. 19). Daher muss der grob schuldhafte Pflichtverstoß in Bezug auf die Mitwirkungspflichten das nachträgliche Bekanntwerden der Beweismittel und Tatsachen betreffen (von Groll in HHSp, § 173 AO Rz. 273). Überdies ist zudem eine Kausalität zwischen dem Verschulden und dem nachträglichen Bekanntwerden notwendig. Die grob schuldhafte Pflichtverletzung muss daher ursächlich für das nachträgliche Bekanntwerden sowie für die Nichtberücksichtigung der Tatsachen und Beweismittel sein (BFH v. 16.4.1997 – XI R 27/96, BFH/NV 1998, 1; vgl. hierzu Koenig in Koenig AO, 4. Aufl., § 173 AO Rz. 113; Loose in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 173 AO Rz. 73; von Groll in HHSp, § 173 AO Rz. 273).
Grobes Verschulden: Unter grobem Verschulden sind Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit zu fassen (BFH v. 3.2.1983 – IV R 153/80, BStBl. II 1983, 324; v. 10.2.2015 – IX R 18/14, BStBl. II 2017, 7 = AO-StB 2015, 223; AEAO zu § 173 Tz. 5.1. S. 2; vgl. auch Barwitz, Verschulden im Steuerrecht, 1987 (zugl. Diss. Augsburg 1986), S. 119; Koenig in Koenig AO, 4. Aufl., § 173 AO Rz. 111; Loose in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 173 AO Rz. 74; Rüsken in Klein, AO, 15. Aufl., § 173 Rz. 112; von Groll in HHSp, § 173 AO Rz. 274; von Wedelstädt in Gosch, AO/FGO, § 173 AO Rz. 85 AO). Dabei ist Vorsatz bei einer gewollten oder zumindest billigend in Kauf genommenen Verletzung einer dem Steuerpflichtigen bekannten Mitwirkungspflichten anzunehmen (Szymczak in Koch/Scholz, AO, 5. Aufl., § 173 Rz. 19; so auch Barwitz, Verschulden im Steuerrecht, 1987 (zugl. Diss. Augsburg 1986), S. 89; Koenig in Koenig AO, 4. Aufl., § 173 AO Rz. 111; Loose in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 173 AO Rz. 74; von Groll in HHSp, § 173 AO Rz. 274; von Wedelstädt in Gosch, AO/FGO, § 173 AO Rz. 85). Grobe Fahrlässigkeit hingegen liegt in Anlehnung an das Zivilrecht bei einem außergewöhnlich schweren Verstoß gegen die vom steuerlichen Verfahrensrecht dem Steuerpflichtigen abverlangten Sorgfaltspflichten vor (Barwitz, Verschulden im Steuerrecht, 1987 (zugl. Diss. Augsburg 1986), S. 95; so auch Löwisch in Staudinger/Caspers BGB, § 276 BGB Rz. 93; Stadler in Jauernig, Bürgerliches Gesetzbuch, 18. Aufl., § 276 BGB Rz. 33; Ulber in Erman, BGB, 16. Aufl., § 276 Rz. 22). Da die Finanzbehörde gem. 85 AO Steuern gleichmäßig festzulegen und zu erheben haben, ist dabei auf einen rein objektiven Pflichtverstoß des Steuerpflichtigen abzustellen. Eine Auslegung anhand des subjektiven Verschuldungsprinzips steht u.E. dem Besteuerungsgrundsatz der gleichmäßigen Steuerfestsetzung und -erhebung entgegen und führt zu einer Privilegierung des steuerlich weniger gewandten Steuerpflichtigen, die mit seiner steuerlichen Unkenntnis weiterhin zunehmen würde (Barwitz, Verschulden im Steuerrecht, 1987 (zugl. Diss. Augsburg 1986), S. 122).
Subjektive Bedeutungsverankerung des Verschuldens?: Neben dem hier untersuchten § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO wird grobes Verschulden auch durch § 69 AO vorausgesetzt, dort allerdings durch die Formulierung "vorsätzliche oder grob fahrlässige Verletzung von Pflichten" beschrieben. Aus dem unterschiedlichen Wortlaut beider Vorschriften könnte zunächst auf eine subjektive Bedeutungsverankerung hinsichtlich des Begriffs "Verschulden" in § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO und einem aus der Bezugnahme auf verletzte Pflichten abgeleitete objektiven Verschulden geschlussfolgert werden. Die Auslegung des Verschuldens im Rahmen des § 69 AO hinsichtlich des objektiven Verschuldungsprinzips wäre dahingehend durch die Wahl der gleichen Ausdrücke "vorsätzlich und fahrlässig" mit denen des § 276 BGB, welcher einen objektiven Maßstab zugrunde legt, begründbar (so auch Friedl, DStR 1991, 1616 [1616]).
Beraterhinweis Diese Auslegung lässt sich mit dem Inhalt beider Vorschriften jedoch nicht vereinbaren und ist deshalb zu verwerfen. Verschulden setzt stets die Verletzung einer Pflicht voraus und kann deshalb nicht als Auslegungskriterium herangezogen werden. Maßgeblich ist vielmehr eine inhaltliche Bezugnahme des Verschuldens in den betroffenen Rechtsvorschriften.