Leitsatz
1. Das Prüfungs- und Zeugnisrecht einer staatlich anerkannten Ersatzschule ist öffentlich-rechtlicher Natur.
2. Geht mit der Trägerschaft an einer staatlich anerkannten Ersatzschule auch das Prüfungs- und Zeugnisrecht über, handelt es sich um den Übergang öffentlich-rechtlicher Aufgaben i.S. des § 4 Nr. 1 GrEStG.
Normenkette
§ 4 Nr. 1 GrEStG, Art. 7 Abs. 4 GG, § 13 ThürSchulG, § 10 Abs. 3 ThürSchfTG
Sachverhalt
Die Klägerin ist eine kirchliche Stiftung des öffentlichen Rechts, die durch einen Bescheid des Thüringer Kultusministeriums genehmigt worden ist. E, ebenfalls eine juristische Person des öffentlichen Rechts, war Träger der Schule F, der durch das Thüringer Kultusministerium die Eigenschaft einer staatlich anerkannten Ersatzschule verliehen worden war. Zur F gehörten die im Alleineigentum der E stehenden bebauten Grundstücke G1 und G2 sowie ein der E zustehendes Erbbaurecht.
Anlässlich des Zusammenschlusses der Kirche A und der Kirche K zum 1.1.2005 zu Kirche L wurde entschieden, die bisherigen Schulträgerschaften statt auf die gemeinsame Kirche auf die neu zu gründende Klägerin übergehen zu lassen. Nach einer entsprechenden Genehmigung des Ministeriums übertrug E im Dezember 2006 die Trägerschaft der F mit Wirkung zum 1.1.2007 auf die Klägerin. Gleichzeitig veräußerte er die Grundstücke G1 und G2 sowie das Erbbaurecht für jeweils 1 EUR an die Klägerin. Das FA setzte für diesen Erwerb auf Grundlage von gesondert festgestellten Grundbesitzwerten Grunderwerbsteuer fest.
Das FG wandte die Steuerbefreiungsvorschrift des § 4 Nr. 1 GrEStG an und gab der Klage daher statt (Thüringer FG, Urteil vom 21.9.2016, 4 K 434/13, Haufe-Index 10764483, EFG 2017, 1107).
Entscheidung
Der BFH wies die Revision des FA als unbegründet zurück. Das FG habe die Voraussetzungen des § 4 Nr. 1 GrEStG zu Recht bejaht. Entgegen der Ansicht des FA sei der Erwerb der Grundstücke und des Erbbaurechts aus Anlass des Übergangs von öffentlich-rechtlichen Aufgaben erfolgt. Die Grundstücksgeschäfte hätten auf dem von E auf die Klägerin durchgeführten Übergang der Schulträgerschaft und dem damit verbundenen Übergang des mit hoheitlichem Charakter ausgestatteten Prüfungs- und Zeugnisrechts beruht. Staatlich anerkannte Ersatzschulen hätten nach § 10 Abs. 3 ThürSchfTG das Recht, nach den für die entsprechenden staatlichen Schulen geltenden Vorschriften und unter einem durch das staatliche Schulamt bestellten Vorsitzenden der Prüfungskommission Prüfungen abzuhalten und Zeugnisse zu erteilen, die die gleichen Berechtigungen verliehen wie die der staatlichen Schulen.
Hinweis
1. Nach § 4 Nr. 1 GrEStG ist von der Besteuerung u.a. ausgenommen der Erwerb eines Grundstücks durch eine juristische Person öffentlichen Rechts, wenn das Grundstück aus Anlass des Übergangs von öffentlich-rechtlichen Aufgaben von der einen auf die andere juristische Person übergeht und nicht überwiegend einem Betrieb gewerblicher Art dient.
2. Ein Übergang von öffentlich-rechtlichen Aufgaben liegt vor, wenn die übernehmende juristische Person des öffentlichen Rechts eben die Funktionen wahrnimmt, welche bisher die übergebende juristische Person wahrgenommen hat.
Zu diesen Aufgaben gehört jedenfalls die hoheitliche Tätigkeit. Diese liegt vor, wenn
- die Beteiligten zueinander in einem hoheitlichen Verhältnis der Über- und Unterordnung stehen und sich der Träger hoheitlicher Gewalt der besonderen Rechtssätze des öffentlichen Rechts bedient oder
- die das Rechtsverhältnis beherrschenden Rechtsnormen überwiegend den Interessen der Allgemeinheit dienen, wenn sie sich nur an Hoheitsträger wenden oder
- der Sachverhalt einem Sonderrecht der Träger öffentlicher Aufgaben unterworfen ist und nicht Rechtssätzen, die für jedermann gelten.
3. Die Trägerschaft einer Privatschule, die als staatlich anerkannte Ersatzschule über das Recht verfügt, staatlich anerkannte Prüfungen abzunehmen und Zeugnisse auszustellen, besitzt einen partiell öffentlich-rechtlichen Charakter in diesem Sinne.
Ersatzschulen sind Privatschulen, die nach dem mit ihrer Errichtung verfolgten Gesamtzweck als Ersatz für eine in dem Land vorhandene oder grundsätzlich vorgesehene öffentliche Schule dienen sollen. Sie bedürfen der Genehmigung des Staates und unterstehen den Landesgesetzen (Art. 7 Abs. 4 Sätze 2 bis 4 GG).
4. Die Befugnisse, mit öffentlich-rechtlicher Außenwirkung den Bildungsgrad der Schüler festzustellen, öffentlich-rechtliche Zugangsberechtigungen zu vermitteln oder Berechtigungen zur Führung einer Berufsbezeichnung zu erteilen, sind hoheitliche Funktionen, die im Wege der Beleihung übertragen werden müssen.
Einzelheiten hat der Landesgesetzgeber zu regeln. Dies ist für den Freistaat Thüringen in Gestalt des Thüringer Schulgesetzes (ThürSchulG) sowie des Thüringer Gesetzes über Schulen in freier Trägerschaft (ThürSchfTG) geschehen. Nach § 13 Abs. 1 Satz 1 ThürSchulG sind die Schulen des Freistaats Thüringen staatliche Schulen oder Schulen in freier Trägerschaft.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 27.11.2019 – II...