Dr. Hubertus Gschwendtner
Leitsatz
Kommt der zum Barunterhalt verpflichtete Elternteil seiner Unterhaltspflicht gegenüber dem Kind nicht nach und wird deshalb auf Antrag des anderen Elternteils, der das Kind betreut, der halbe Kinderfreibetrag auf diesen übertragen, ist bei der nach § 31 Satz 4 EStG durchzuführenden Vergleichsrechnung (Günstigerprüfung) dem vollen Kinderfreibetrag das gesamte an den betreuenden Elternteil ausgezahlte Kindergeld gegenüberzustellen.
Normenkette
§ 31 EStG , § 32 Abs. 6 Satz 5 EStG , § 36 Abs. 2 EStG
Sachverhalt
Der Kläger hatte im Rahmen des Scheidungsverfahrens 1984 mit seiner Ehefrau vereinbart, dass er für das gemeinsame Kind eine Unterhaltsrente zahlen werde und der Mutter das Kindergeld anrechnungsfrei zustehen solle.
Im Rahmen der für den Kläger durchgeführten Einkommensteuerveranlagung 1996 berücksichtigte das FA den geltend gemachten Kinderfreibetrag nicht, weil dem Kläger als dem barunterhaltspflichtigen Elternteil nach § 1615g BGB ein Anspruch auf die Hälfte des Kindergelds zustehe. Die Klage, mit der der Kläger erreichen wollte, dass ihm bei der sog. Günstigerprüfung das Kindergeld nicht angerechnet wird, blieb erfolglos.
Entscheidung
Der BFH wies die Revision als unbegründet zurück. Bei Auszahlung des Kindergelds an einen Elternteil sei die Günstigerprüfung bei nicht zusammen veranlagten Eltern grundsätzlich in der Weise durchzuführen, dass jedem Elternteil die Hälfte des Kindergelds zugerechnet werde. Das entspreche im Grundsatz der zivilrechtlichen Ausgangslage. Zivilrechtlich abweichende Vereinbarungen seien aber steuerrechtlich ohne Bedeutung, und zwar unabhängig davon, ob sie vor oder nach In-Kraft-Treten des JStG 1996 getroffen worden seien.
Hinweis
Ich verweise zunächst auf die Besprechung des Falls VIII R 86/98 (Seite 355 in diesem Heft). Von diesem Fall unterscheidet sich der vorliegende Fall dadurch, dass nicht die Einkommensteuerveranlagung der das Kind betreuenden Mutter, sondern die Einkommensteuerveranlagung des barunterhaltspflichtigen Vaters zu beurteilen war. Sie unterscheiden sich aber nicht in der steuerrechtlichen Interessenlage: Sowohl die Mutter als auch der Vater sind im Rahmen der bei ihnen vorzunehmenden Günstigerprüfung daran interessiert, dass ihnen der Anspruch auf das hälftige Kindergeld nicht zugerechnet wird; denn das hätte jeweils zur Folge, dass dieser Anspruch in die Vergleichsrechnung des § 31 Sätze 4 und 5 EStG einzubeziehen ist.
In beiden Fällen ging die Prüfung zulasten der Steuerpflichtigen aus. Der Grund: Nach dem zivilrechtlichen Halbteilungsgrundsatz ist in den Fällen, in denen ein Elternteil das Kind betreut und der andere für den Barunterhalt aufkommt, eine Unterhaltsleistung der Eltern zu gleichen Teilen zu sehen mit der Folge, dass Ihnen das Kindergeld je zur Hälfte zusteht (jetzt §§ 1612b, 1606 Abs. 3 BGB); auf diesen Anspruch kann der barunterhaltspflichtige Elternteil – z.B. im Rahmen der Scheidungsvereinbarung – verzichten. Dieser Verzicht lässt jedoch den steuerrechtlichen Halbteilungsgrundsatz unberührt, der besagt, dass die steuerlichen Entlastungen durch das Kindergeld oder den Kinderfreibetrag grundsätzlich beiden Elternteilen gleichermaßen wirtschaftlich zugute kommen sollen, ohne Rücksicht darauf, wer der Empfänger des Kindergelds ist. Das gilt unabhängig davon, ob der Berechtigte seinen Ausgleichsanspruch im Veranlagungszeitraum tatsächlich geltend macht oder ob er diesen Anspruch aufgrund einer freiwillig eingegangenen zivilrechtlichen Verpflichtung verloren hat.
Das lag im Fall VIII R 88/98 anders. Hier war – unabhängig von der zivilrechtlichen Rechtslage – der hälftige Freibetrag gem. § 32 Abs. 6 Satz 5 EStG auf die Mutter übertragen worden; dementsprechend musste sich diese auch den dem Vater zustehenden Anspruch zur Hälfte des Kindergelds zurechnen lassen.
Den Entscheidungen liegt die Erwägung zugrunde, dass die Beteiligten – entgegen der Zielsetzung des steuerrechtlichen Familienleistungsausgleichs – durch Verzicht des Barunterhaltsverpflichtenden auf den Ausgleichsanspruch keine Mehrfachbegünstigung erreichen dürfen. Diese würde eintreten, wenn bei dem barunterhaltspflichtigen Elternteil der hälftige Kinderfreibetrag ohne Anrechnung des hälftigen Kindergelds und beim betreuenden Elternteil der volle Kinderfreibetrag ohne Anrechnung des vollen Kindergelds zu berücksichtigen wäre.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 16.3.2004, VIII R 88/98