Leitsatz
1. Die Haftung der Organgesellschaft für Steuern des Organträgers gemäß § 73 AO beschränkt sich nicht notwendig auf solche Steuern, die während der Dauer des Organschaftsverhältnisses entstanden sind.
2. Die Organgesellschaft kann in dem Umfang haften, in dem der Organträger die Umsätze der Organgesellschaft zu versteuern hat und Vorsteuerbeträge aus Rechnungen über Leistungsbezüge der Organgesellschaft abziehen kann.
Normenkette
§ 73 AO, § 2, § 17 UStG
Sachverhalt
Der Kläger wurde mit Beschluss des Amtsgerichts vom 27.3.2014 zum vorläufigen Insolvenzverwalter über das Vermögen der GmbH bestellt. Unter Ziff. 4 des Beschlusses war bestimmt, dass Verfügungen der Schuldnerin über Gegenstände ihres Vermögens nur noch mit Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters wirksam sein sollten (allgemeiner Zustimmungsvorbehalt gemäß § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Alternative 2 InsO). Das Insolvenzverfahren wurde mit Beschluss des Amtsgerichts vom xx.5.2014 eröffnet und der Kläger zum Insolvenzverwalter bestellt.
Die GmbH war zuvor umsatzsteuerlich als Organgesellschaft in das Unternehmen der A-GmbH eingegliedert gewesen (§ 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG). Über deren Vermögen wurde am xx.7.2014 ebenfalls das Insolvenzverfahren eröffnet.
Bei der A-GmbH bestanden im Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung über ihr Vermögen Umsatzsteuerrückstände i.H.v. … EUR, u.a. aus den Voranmeldungen für März 2014. Das FA meldete deshalb im Insolvenzverfahren der GmbH eine Haftungsforderung in eben dieser Höhe gemäß § 73 AO wegen rückständiger USt der A-GmbH zur Insolvenztabelle an. Da der Kläger die Forderung in vollem Umfang bestritt, erließ das FA am 16.4.2018 den streitgegenständlichen Feststellungsbescheid nach § 251 Abs. 3 AO.
Nach erfolglosem Einspruch hatte die Klage Erfolg (Sächsisches FG, Urteil vom 13.4.2021, 3 K 1304/19, EFG 2021, 1953). Das FG verneinte eine Haftung nach § 73 AO für die USt für den Voranmeldungszeitraum März 2014, weil diese bei Beendigung der Organschaft am 27.3.2014 rechtlich noch nicht entstanden gewesen sei. Die USt für die Leistungen im Voranmeldungszeitraum März 2014 sei erst mit Ablauf des 31.3.2014 entstanden.
Dagegen richtete sich die Revision des FA, das sich auf den Anwendungserlass zur Abgabenordung zu § 73, Nr. 3.2. beruft.
Entscheidung
Der BFH hat auf die Revision des FA das FG-Urteil aufgehoben und die Sache zurückverwiesen.
Hinweis
Streitig ist, ob eine ehemalige Organgesellschaft nach § 73 AO auch für die während des Bestehens der Organschaft steuerrechtlich noch nicht entstandene USt in Haftung genommen werden kann. Der insoweit bejahenden Auffassung der Finanzverwaltung (AEAO zu § 73, Nr. 3.2) steht das Schrifttum nahezu geschlossen entgegen.
Das Problem stellte sich im Streitfall, weil die umsatzsteuerliche Organschaft wegen Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters im Laufe eines Voranmeldungszeitraums endete, die Steuer für die Leistungen in diesem Voranmeldungszeitraum jedoch erst mit Ablauf desselben entstanden war.
1. Gemäß § 73 Satz 1 AO haftet eine Organgesellschaft für solche Steuern des Organträgers, für welche die Organschaft zwischen ihnen steuerlich von Bedeutung ist. Das richtet sich im Fall der umsatzsteuerlichen Organschaft nach den Bestimmungen des UStG. Grundsätzlich werden jegliche Umsätze der Organgesellschaft einschließlich der Verwirklichung der Entnahmetatbestände und der übrigen Umsätze nach § 1 Abs. 1 Nrn. 4 und 5 UStG dem Organträger zugerechnet. Steuern des Organträgers, "für welche die Organschaft zwischen ihnen steuerlich von Bedeutung ist", liegen demzufolge grundsätzlich dann vor, wenn der Organträger die Umsätze der Organgesellschaft zu versteuern hat und Vorsteuerbeträge aus Rechnungen über Leistungsbezüge der Organgesellschaft abziehen kann. Für diese Steuern haftet folglich die Organgesellschaft nach § 73 AO.
2. Der BFH schließt sich im Ergebnis der Auffassung der Finanzverwaltung in AEAO zu § 73, Nr. 3.2 an und präzisiert diese. Dagegen vertritt das Schrifttum nahezu einhellig (und ohne nähere Begründung) die Auffassung, dass die Haftung der Organgesellschaft für Steuern des Organträgers nur solche Steuern umfasst, die während der Dauer des Organschaftsverhältnisses entstanden sind (Rüsken, in Klein, AO, 2020, § 73 AO Rz. 6; Boeker, in HHSp, § 73 AO Rz. 20; Jatzke, in Gosch, AO, § 73 AO Rz. 9; Rüsch, in Zugmaier/Nöcker, AO, 2021, § 73 AO Rz. 7; Schneider, in eKomm ab 18.12.2019, § 73 AO, 4; BeckOK AO/Specker, 20. Ed. [1.4.2022], AO, § 73 Rz. 50; Kratzsch, in Koenig, AO, 2021, § 73 AO Rz. 8; Loose, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 73 AO Rz. 3; ebenso in einem obiter dictum FG München, Urteil vom 18.9.1991, 3 K 4202/88, unter II., EFG 1992, 373; sowohl Niewerth, in Lippross/Seibel, Basiskommentar Steuerrecht, Stand 6/2020, § 73 AO Rz. 3, als auch Pahlke, in Schwarz/Pahlke, AO/FGO, § 73 AO Rz. 15 und 25, lassen bei abweichendem Wirtschaftsjahr Verursachung ausreichen).
3. In der Sache konnte der BFH allerdings nicht endgültig entscheiden, weil sich aus den vorliegenden Unterlagen...