Im Wirtschaftsleben werden oft Kapitalgesellschaften und Kommanditgesellschaften mit einem eigentlich zu geringen Eigenkapital ausgestattet, die jedoch erhebliche wirtschaftliche Aktivitäten entwickeln können, da ihnen die erforderlichen Anlagegüter von den Gesellschaftern zur Nutzung überlassen werden. Diese Gegenstände stehen aber den Gläubigern der Gesellschaft nicht als Vollstreckungsobjekte zur Verfügung. Der § 74 AO erweitert also unter bestimmten Voraussetzungen für Steuerrückstände den Zugriff der Finanzbehörden auf diese Gegenstände.
7.1 Voraussetzungen der Haftung
7.1.1 Gegenstände
Im Zivilrecht wird der Begriff des Gegenstands als Oberbegriff für Sachen und Rechte definiert. Der Begriff des Gegenstands i. S. d. § 74 AO ist jedoch nach der früheren Ansicht der Verwaltung und eines Teils der Literatur nur auf körperliche Wirtschaftsgüter beschränkt. Dies hat also zur Folge, dass der Inhaber von Rechten, die immaterielle Wirtschaftsgüter darstellen, nach der Verwaltungsauffassung nicht nach § 74 AO haftet. Diese Auffassung ist allerdings nicht unumstritten. Die Haftung erstreckt sie nach der Rechtsprechung des BFH zudem auch auf Surrogate der Gegenstände, die ursprünglich der Haftung unterlegen haben, also etwa einen Veräußerungsgewinn oder Schadensersatzleistungen.
7.1.2 Dem Unternehmen dienen
Die Gegenstände müssen einem Unternehmen für den Unternehmenszweck längerfristig zur Verfügung gestellt werden. Dies kann etwa durch Pacht, Miete, Leihe oder Leasing geschehen. Nur kurzfristiges oder gelegentliches Überlassen reicht nicht aus, da die Gegenstände dann nicht dem Unternehmen dienen. Nicht erforderlich ist aber, dass es sich bei den Gegenständen, die dem Unternehmen dienen, um wesentliche Betriebsgrundlagen handelt. Der Begriff des Unternehmens ist aus dem Umsatzsteuer- und Gewerbesteuerrecht zu entnehmen.
7.1.3 Nicht dem Unternehmer gehörig
Ob bei dem Begriff "gehören" auf die zivilrechtliche Definition des Eigentums abzustellen ist, ist abschließend nicht geklärt. Eine strenge Anlehnung an das Zivilrecht würde die Beschränkung der Haftung auf Sachen rechtfertigen, da das BGB nur bei Sachen vom Eigentum spricht, bei Rechten dagegen vom Inhaber, Gläubiger usw. Auf § 39 AO ist auf jeden Fall nicht abzustellen. Der Grund ist darin zu sehen, dass § 74 AO die Vollstreckung der Steuerschulden sichern soll.
Begriff des Eigentums
Ein wesentlich beteiligter Kommanditist hat der KG ein Grundstück verpachtet ("notwendiges Sonderbetriebsvermögen"). Das Grundstück "gehört" i. S. v. § 74 AO weiterhin dem Kommanditisten.
Der Unternehmer (AG, GmbH, KG) darf nicht Eigentümer sein. Anderenfalls hätte es nicht der Haftungsbestimmung des § 74 AO bedurft, da wegen der Steuerschulden des Unternehmers aus dem Steuerbescheid in diese Gegenstände hätte vollstreckt werden können. Allerdings hat der BFH eine Haftung nach § 74 AO in einem Fall bejaht, in dem das Grundstück im Eigentum einer GmbH & Co. KG stand, an der die Gesellschafter einer weiteren Gesellschaft wiederum zu jeweils 50 % beteiligt waren. Diese Entscheidung ist sehr kritisch zu sehen.
In den Fällen der Betriebsaufspaltung "gehören" den Gesellschaftern der Besitzgesellschaft (OHG, GbR) die der Betriebsgesellschaft überlassenen Gegenstände in gesamthänderischer Verbundenheit.
7.1.4 Eine an dem Unternehmen wesentlich beteiligte Person
Die Gegenstände müssen schließlich im Eigentum einer an dem Unternehmen wesentlich beteiligten Person stehen. Das Gesetz sieht hierzu 2 Varianten vor:
- Nach § 74 Abs. 2 Satz 1 AO ist eine Person wesentlich an dem Unternehmen beteiligt, wenn sie unmittelbar oder mittelbar zu mehr als 1/4 am Grund- oder Stammkapital oder am Vermögen des Unternehmens beteiligt ist. Bei Personengesellschaften wird man auf die Stammeinlage abzustellen haben. Abweichende Stimmrechte sind unerheblich, können aber im Rahmen des § 74 Abs. 2 Satz 2 AO Berücksichtigung finden. Eine mittelbare Beteiligung lieg...