Leitsatz
Ein materiell unrichtiger Einkommensteuerbescheid eines örtlich unzuständigen FA wahrt die Festsetzungsfrist nicht, wenn er dem Steuerpflichtigen erst nach Ablauf der Festsetzungsfrist zugeht.
Normenkette
§ 27 AO , § 29 AO , § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO , § 127 AO , § 169 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 AO , § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO
Sachverhalt
Die Kläger, zur Einkommensteuer zusammen veranlagte Eheleute, gaben ihre Einkommensteuererklärung für das Jahr 1990 am 25.9.1991 beim FA H ab. Wohnhaft sind sie seit Ende 1986 in V, das sich im Bezirk des FA B (Hessen) befindet. Ihren Wohnsitzwechsel hatten sie dem FA H mit Schreiben vom 5.12.1986 mitgeteilt. Die Kläger gaben auch nach ihrem Umzug ihre Einkommensteuererklärungen beim FA H ab. Die Einkommensteuererklärungen enthalten zutreffend ihre V-Anschrift.
Am 31. Mai 1995 übersandte das FA B dem FA H Kontrollmaterial zur Auswertung im Rahmen der Einkommensteuerveranlagungen der Jahre 1990 bis 1992. In den Akten befindet sich ein Vermerk des Sachbearbeiters beim FA B, wonach die Sachbearbeiterin für die Einkommensteuer der Kläger im FA H "noch die Veranlagung 1990 bis 1992 durchführen möchte, dann erfolgt ggf. Aktenabgabe an uns". Der Einkommensteuerbescheid 1990 wurde vom FA H am 29.12.1995 zur Post gegeben.
Gegen den Einkommensteuerbescheid 1990 legten die Kläger Einspruch mit der Begründung ein, es sei Festsetzungsverjährung eingetreten. Sie hätten den Einkommensteuerbescheid 1990 erst am 3.1.1996 erhalten. Während des Einspruchsverfahrens machten sie ferner materielle Fehler des Bescheids geltend. Die Akten wurden während des Einspruchsverfahrens an das örtlich zuständige FA B abgegeben, das den Einspruch am 25.7.1997 als unbegründet zurückwies. Die weiteren während des Einspruchsverfahrens vorgebrachten materiell-rechtlichen Einwendungen wurden nicht erörtert. Während des Klageverfahrens erließ das FA einen geänderten Einkommensteuerbescheid 1990 (15.10.1998), in dem diesen Streitpunkten abgeholfen wurde.
Die Klage war vor dem BFH erfolgreich.
Entscheidung
Der Bescheid sei dem Kläger nach der Bekanntgabefiktion des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO am 1. Januar, demnach erst nach Ablauf der Festsetzungsverjährung, zugegangen. Er sei von einem örtlich nicht zuständigen FA erlassen worden. Eine Zuständigkeitsvereinbarung liege nicht vor. Es fehle bereits an einer Einigung der beteiligten FÄ. Vor allem aber mangele es an einer Zustimmung des Klägers.
Es könne offen bleiben, ob der Bescheid einer örtlich unzuständigen Behörde, der erst nach Ablauf der Festsetzungsfrist zugehe, generell die Festsetzungsfrist nicht wahren könne, denn im Streitfall habe der ursprüngliche Bescheid auch materielle Mängel ausgewiesen, die erst während des Klageverfahrens korrigiert worden seien. Fehlerhafte Bescheide einer örtlich unzuständigen Behörde wahrten die Festsetzungsfrist nicht.
Hinweis
Die Festsetzungsfrist für die Einkommensteuer beträgt vier Jahre. Sie ist gewahrt, wenn vor Ablauf der regulären Festsetzungsfrist ein Bescheid den Bereich der zuständigen Finanzbehörde verlassen hat, auch wenn er dem Steuerpflichtigen erst nach Ablauf der Verjährungsfrist zugeht (§ 169 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 AO).
Der BFH hat in diesem Urteil nicht abschließend entschieden, was unter der "zuständigen Finanzbehörde" im Sinn dieser Vorschrift zu verstehen ist. Er hat aber zu erkennen gegeben, dass Wortlaut und der Ausnahmecharakter der Vorschrift dafür sprechen, dass nur der Bescheid eines örtlich zuständigen FA die Festsetzungsfrist wahrt. Fiele darunter nur die sachliche Unzuständigkeit, wäre dieses Tatbestandsmerkmal überflüssig. Denn ein Bescheid einer sachlich unzuständigen Behörde wird, wenn er angefochten wird, aufgehoben, so dass die Frist wahrenden Wirkungen nachträglich entfallen.
Letztlich hat dies der BFH aber offen gelassen, weil der Bescheid auch materielle Fehler aufgewiesen hat. Ein materiell fehlerhafter Bescheid eines örtlich unzuständigen FA wahrt die Festsetzungsfrist nicht. Das Urteil gilt entsprechend bei Maßnahmen, die die Zahlungsverjährung unterbrechen. Dagegen hat es keine Auswirkung auf Bescheide örtlich unzuständiger FÄ, die innerhalb der Festsetzungsfrist zugehen.
Der Fall warf zusätzlich die Frage auf, unter welchen Voraussetzungen eine Zuständigkeitsvereinbarung anzunehmen ist. Das örtlich unzuständige und das zuständige FA hatten vor Eintritt der Festsetzungsverjährung miteinander Kontakt aufgenommen. Die bisherige Sachbearbeiterin hatte dabei den Wunsch geäußert, noch die anstehende und zwei weitere Veranlagungen durchzuführen. Hiervon waren die Steuerpflichtigen aber nicht unterrichtet worden.
Eine Zuständigkeitsvereinbarung ohne Einverständnis des Steuerpflichtigen ist nicht möglich. Zwar kann die Zustimmung auch konkludent erklärt werden, Nichtstun und Schweigen können aber nicht als Zustimmung gewertet werden. Allein der Umstand, dass die Kläger die Bescheide des unzuständigen FA auch Jahre nach dem Umzug hingenommen haben, kann nicht als Zustimmung gewertet werden. Schließlich ist auch kei...