Entscheidungsstichwort (Thema)
Geltung der Behaltensdauer für die Gewährung des Schachtelprivilegs bei neugegründeten Unternehmen
Leitsatz (redaktionell)
- Auch bei neugegründeten Gesellschaften ist Voraussetzung für die Gewährung des Schachtelprivilegs eine 12-monatige Behaltensdauer.
- Eine Verkürzung der Behaltensdauer bei neugegründeten Unternehmen durch teleologische Reduktion des Tatbestandes des § 102 BewG kommt nicht in Betracht, da der Gesetzgeber durch die Typisierung der Mindestbesitzdauer bewusst Einschränkungen der Einzelfallgerechtigkeit zugunsten der Praktikabilität in Kauf genommen hat.
- Die Geltung der zeitlichen Grenze bei neugegründeten Gesellschaften stellt keinen Verstoß gegen den Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) dar.
Normenkette
GG Art. 3 Abs. 1; BewG § 102 Abs. 1 S. 1
Streitjahr(e)
1993
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Inanspruchnahme der Schachtelvergünstigung nach § 102 Abs. 1 Bewertungsgesetz i.d.F. des streitigen Feststellungszeitpunkts (BewG) für eine neugegründete Kapitalgesellschaft. Die Klägerin betreibt ein Unternehmen, das den Erwerb und die Verwaltung von Vermögensanlagen aller Art einschließlich der Übernahme von Beratungs- und Geschäftsführertätigkeiten sowie die Abwicklung von Bauvorhaben aller Art einschließlich der Entwicklung und des An- und Verkaufs von bebauten und unbebauten Grundstücken und die Beteiligung an Gesellschaften mit vergleichbaren Aufgaben zum Gegenstand hat. Sie wurde mit notariellem Vertrag vom 16.12.1992 zunächst als A Aktiengesellschaft für Industriebeteiligungen errichtet. Seit 1996 firmiert sie nach vorgenommenen Form-, Firmen- und Sitzwechsel unter dem jetzigen Namen, unter dem sie seit dem 19.12.1996 im Handelsregister eingetragen ist.
Das Grundkapital der Klägerin im Zeitpunkt der Gründung am 16.12.1992 betrug 14.423.250,-- DM, eingeteilt in 288.469 Inhaberaktien zum Nennbetrag von je 50,-- DM, von denen die Mehrheitsgesellschafterin die B Management AG (B) zunächst 288.465 Aktien im Rahmen einer Sacheinlage gegen die Einbringung der gleichen Anzahl Aktien der C-AG übernommen hatte. Die Anteile an der C-AG hatte die B in den Jahren 1989 und 1990 erworben und war damit zu 10,25 % am Grundkapital der C-AG beteiligt gewesen. Bei der Feststellung des Einheitswertes des Betriebsvermögens der B war ihr hinsichtlich dieser Beteiligung die Schachtelvergünstigung gemäß § 102 Abs. 1 BewG gewährt worden.
Mit Vertrag vom 16.12.1992 hatte die B eine Beteiligung in Höhe von 25,1 % der Aktien an die BfG-Bank AG übertragen.
Bei der Ermittlung des Einheitswertes des Betriebsvermögens auf den 01.01.1993 wies die Klägerin ihre Anteile an der C-AG in der Vermögensaufstellung aus und beantragte hierfür die Vergünstigung für Schachtelgesellschaften gemäß § 102 Abs. 1 BewG. Sie machte geltend, dass von der nach § 102 BewG geforderten Besitzdauer von mindestens 12 Monaten abzusehen sei, da die Beteiligung von mehr als 10 % an der C-AG im Wege der Sachgründung eingebracht worden sei und zuvor die Mehrheitsgesellschafterin B bereits über mehrere Jahre als Schachtelbeteiligung zuzurechnen war.
Das Finanzamt stellte den Einheitswert des Betriebsvermögens auf den 01.01.1993 abweichend von der Erklärung ohne Berücksichtigung einer Schachtelbeteiligung durch Bescheid vom 02.11.1995 fest. Dagegen wandte sich die Klägerin mit dem Einspruch, den das Finanzamt durch Einspruchsentscheidung vom 10.02.1998 mit der Begründung zurückwies, dass das Schachtelprivileg für Beteiligungen gemäß § 102 Abs. 1 Satz 1 BewG nur dann zu gewähren sei, wenn die Beteiligung seit mindestens 12 Monaten vor dem maßgeblichen Abschlußzeitpunkt bestanden habe.
Dagegen wendet sich die Klägerin mit der vorliegenden Klage.
Sie ist der Ansicht, die Schachtelvergünstigung bei mehr als 10 %-igen Beteiligungen sei bei neugegründeten Kapitalgesellschaften auch dann zu gewähren, wenn das 12-Monats-Erfordernis hinsichtlich der Haltedauer der Beteiligung nicht eingehalten sei. Sinn und Zweck der Vorschrift des § 102 BewG sei es, die dreifache Besteuerung, nämlich 1. des Vermögens der Muttergesellschaft, 2. eine Besteuerung bei der Tochtergesellschaft und 3. eine Besteuerung bei den Anteilseignern durch Verzicht auf die Besteuerung der Muttergesellschaft zu vermeiden. Dieser Zielsetzung würde bei Neugründungen das 12-Monats-Erfordernis der Haltedauer entgegenstehen, da eine im Laufe eines Kalenderjahres neugegründete (Mutter) Kapitalgesellschaft rein faktisch bei einem mit dem Kalenderjahr übereinstimmenden Wirtschaftsjahr nicht die Möglichkeit habe, eine Haltedauer ihrer Beteiligung von 12 Monaten bis zum nächsten Abschlußstichtag zu erreichen. Daraus würde sich eine Schlechterstellung von neugegründeten gegenüber bestehenden Kapitalgesellschaften ergeben, die mit dem gesetzlich normierten Gleichheitssatz nicht vereinbar sei. Es sei demzufolge eine “Nachbesserung” des Gesetzestextes erforderlich, wie die Verwaltung bereits bei anderen Vorschriften im Gewerbesteuer- und Körperschaftsteuerrecht Sonderregelungen getrof...