Entscheidungsstichwort (Thema)
Kein notwendig grobes Verschulden bei Auswahl der Steuerberaterin und vollständiger Lieferung von Unterlagen
Leitsatz (redaktionell)
- Der Geschäftsführer einer GmbH muss nicht für Verschulden des ausgewählten Steuerberaters einstehen.
- Der Geschäftsführer ist jedoch zur gewissenhaften Auswahl und zur laufenden Überwachung des Steuerberaters verpflichtet, weshalb ihn insoweit ein eigenes Auswahl- oder Überwachungsverschulden treffen kann. Zudem ist er verpflichtet, die Hilfsperson ausreichend zu informieren.
- Die Feststellungslast für ein insoweit grobes Auswahl- und Überwachungsverschulden trägt die Finanzbehörde.
Normenkette
AO §§ 34-35, 69, 191
Streitjahr(e)
2018
Nachgehend
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Haftungsinanspruchnahme des Klägers wegen rückständiger Umsatzsteuer der durch Gesellschaftsvertrag vom … mit einem Stammkapital von 25.000,- Euro gegründeten und im Handelsregister des Amtsgerichts … unter HRB … eingetragenen A-GmbH. Satzungsmäßiger Geschäftsgegenstand der A-GmbH ist die gewerbsmäßige Bewachung von Leib, Leben, Freiheit, Eigentum oder Besitz fremder natürlicher und juristischer Personen. Alleiniger und alleinvertretungsberechtigter Geschäftsführer der A-GmbH war seit Gründung bis zu seiner Abberufung gemäß Beschluss der Gesellschafterversammlung vom 01.11.2018) der am … geborene Kläger. Durch Beschluss der Gesellschafterversammlung vom gleichen Tag wurde der am … geborene und laut Ausweisdokumenten in Polen ansässige polnische Staatsbürger J zum alleinigen und alleinvertretungsberechtigten Geschäftsführer bestellt, der durch notariellen Vertrag vom 18.02.2019 zum Preis von insgesamt 25.000,- Euro vom Kläger später auch sämtliche Anteile an der A-GmbH erwarb. In Abschnitt II dieses Vertrages war niedergelegt, dass den Vertragsparteien die „Entwicklung der Aktiv- und Passivwerte bis zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses bekannt“ war. Weiter wörtlich: „Der Käufer hatte Gelegenheit, die wirtschaftliche Situation der Gesellschaft zu prüfen und die Geschäftsverträge einzusehen. Ihm wurde die gesamte Buchhaltung, einschließlich der Summen- und Saldenlisten und offene Postenlisten übergeben. Er wurde auch über laufende Geschäfte sowie die wirtschaftliche Lage der Gesellschaft zum heutigen Tage informiert. Dem Käufer ist bekannt, dass Verbindlichkeiten der Gesellschaft bestehen und er insoweit in die Gesellschaft eintritt, die zur Befriedigung der Verbindlichkeiten, soweit keine eigenen Ansprüche der Gesellschaft hiergegen bestehen, verpflichtet ist. Auf die Beifügung einer Auflistung der Verbindlichkeiten wird lt. Weisung der Erschienenen trotz entgegenstehender Belehrung des Notars verzichtet. Der Käufer sah keinen Klärungs- und Aufklärungsbedarf mehr“.
Für das 1. und das 2. Kalendervierteljahr 2018 gab die A-GmbH trotz entsprechender Verpflichtung zunächst keine Umsatzsteuervoranmeldungen ab, weshalb der örtlich zuständige Beklagte (das Finanzamt, im Folgenden: ,FA') die Besteuerungsgrundlagen anhand der letzten bekannten Voranmeldungswerte des Jahres 2017 schätzte und die Umsatzsteuervorauszahlungen für das 1. und 2. Kalendervierteljahr 2018 durch Bescheide vom 29.05.2018 bzw. 20.08.2018 bei Ansatz von steuerpflichtigen Lieferungen und Leistungen i.H.v. jeweils … Euro unter dem Vorbehalt der Nachprüfung auf jeweils … Euro festsetzte. Die fehlenden Umsatzsteuervoranmeldungen reichte die A-GmbH erst am 08.02.2019 nach. Hieraus ergaben sich Umsatzsteuervorauszahlungen für das 1. Kalendervierteljahr 2018 von …,- Euro (angemeldete Lieferungen und Leistungen: …,- Euro) und für das 2. Kalendervierteljahr 2018 von … Euro (angemeldete Lieferungen und Leistungen: … Euro). Die entsprechenden Steueranmeldungen der A-GmbH standen nach § 168 Satz 1 AO einer geänderten Festsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gleich. Die Differenzbeträge wurden seitens der A-GmbH trotz mehrfacher Mahnung des FA i.H.v. … Euro (1. Kalendervierteljahr 2018) und … Euro (2. Kalendervierteljahr 2018) nicht entrichtet.
Infolge der offenen Voranmeldungsbeträge ersuchte das FA den Kläger durch Verfügung vom 22.05.2019 unter Beifügung eines detaillierten Fragebogens um Auskunft zur Zahlungs- und Liquiditätslage der A-GmbH vom 01.01.2018 bis zum 01.11.2018 und erläuterte, dass es prüfe, ob der Kläger für die rückständigen Nachzahlungen für das 1. und 2. Kalendervierteljahr 2018 hafte und inwieweit er in Haftung genommen werden könne. Hierauf erklärte der Kläger am 18.07.201, dass er die Fragen nicht beantworten könne, weil er die A-GmbH nicht mehr vertrete. Zur Zeit seiner Vertretung seien jedoch Verbindlichkeiten nicht vorhanden gewesen. Ohne weitere Ermittlungen nahm das FA den Kläger daraufhin durch Bescheid vom 24.09.2019 in Höhe von 100% der rückständigen Umsatzsteuervorauszahlungen der A-GmbH für das 1. und 2. Kalendervierteljahr 2018 nebst Säumniszuschlägen unter Hinweis auf § 69 AO und die pflichtwidrige Nichtabgabe der Umsatzste...