Entscheidungsstichwort (Thema)
Inländischer Wohnsitz eines nicht schulpflichtigen Kindes bei längerem Auslandsaufenthalt
Leitsatz (redaktionell)
- Ein Wohnsitz im steuerrechtlichen Sinne liegt vor, wenn objektiv die Wohnung ihrem Inhaber wann immer er es wünscht als bleibe zur Verfügung steht und von ihm auch subjektiv zur entsprechenden Nutzung bestimmt ist.
- Dabei ist es nicht entscheidend, ob sich der betreffende während einer Mindestzahl von Tagen oder Wochen im Jahr tatsächlich in der Wohnung aufhält; erforderlich ist nur eine Nutzung der Wohnung, die über bloße Besuche oder kurzfristige Ferienaufenthalte hinausgeht.
- Geht ein Kind noch nicht zur Schule, ist die Rechtsprechung zum mehrjährigen Auslandsaufenthalt zu Zwecken einer Berufsausbildung, nach der ein Kind seinen Wohnsitz in der Wohnung der Eltern im Inland nur dann beibehält, wenn es diese Wohnung zumindest überwiegend in den ausbildungsfreien Zeiten nutzt, nicht anwendbar.
- Auch wenn sich ein nicht schulpflichtiges Kind zusammen mit der Mutter mehrere Monate bei Angehörigen im Ausland aufhält, aber auch die inländische Wohnung, die als Familienwohnsitz dient, über mehrere Monate nutzt, liegt ein inländischer Wohnsitz vor.
Normenkette
EStG §§ 62-63; AO § 8
Streitjahr(e)
2012, 2013
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit eines Aufhebungs- und Rückforderungsbescheids. Dem Rechtsstreit liegt im Wesentlichen folgender Sachverhalt zu Grunde:
Die Klägerin ist die Mutter der am 01.04.2008 geborenen K. Für diese erhielt sie von der Familienkasse in der Vergangenheit laufend Kindergeld. Im Streitzeitraum unterhielt die Klägerin zusammen mit ihrem Ehemann, bei dem es sich um den Vater Ks handelt, eine Wohnung in Stadt A. Diese wurde auch von K bewohnt. Der Ehemann der Klägerin ging im maßgeblichen Zeitraum in der Bundesrepublik einer Beschäftigung nach.
Die ältere Schwester Ks (S) besucht eine Schule in Marokko. Um ihrer elterlichen Sorge Rechnung zu tragen, besucht die Klägerin diese – so auch im Streitzeitraum - des Öfteren; wobei sie von K begleitet wird.
Am 29.08.2012 reiste die Klägerin zusammen mit K nach Marokko. Am 15.06.2013 kehrten die beiden in die Bundesrepublik Deutschland zurück.
Während dieser Zeit richtete das Stadtschulamt Stadt A eine Aufforderung an die Klägerin, K im März 2013 für das Schuljahr 2014/ 2015 an der Schule Stadt A anzumelden. In der Folge teilte die Klägerin der Schule per Mail mit, dass und warum sie nicht zu dem anberaumten Termin erscheinen könne. Im März 2013 wurde der Wohnsitz Ks von Amts wegen in Stadt A abgemeldet. Die Abmeldung wurde damit begründet, dass sie eine Schule in Marokko besuche (was für den Streitzeitraum nicht zutraf). Eine Abmeldung der Klägerin erfolgte nicht.
Ausweislich der Eintragungen im Reisepass hielt sich K in folgenden Zeiträumen in Marokko auf: 24.08.2008 - 09.11.2008, 07.07.2010 - 19.09.2010, 13.08.2011 - 06.11.2011, 20.11.2011 - 17.01.2012, 28.01.2012 - 04.06.2012 und 29.08.2012 - 15.06.2013.
In der Folgezeit hob die Familienkasse die zu Gunsten der Klägerin erfolgte Kindergeldfestsetzung mit Bescheid vom 08.10.2013 ab August 2012 auf und forderte das bis April 2013 gezahlte Kindergeld zurück. Dagegen legte die Klägerin - vertreten durch die Prozessbevollmächtigte – fristgerecht Einspruch ein. Mit Einspruchsentscheidung vom 18.02.2015 half die Familienkasse dem Rechtsbehelf hinsichtlich des Monats August 2012 ab und wies ihn im Übrigen als unbegründet zurück.
Dagegen richtet sich die von der Klägerin - vertreten durch ihre Prozessbevoll-mächtigte - am 23.03.2015 vor dem Hessischen Finanzgericht erhobene Klage, die mit einem Prozesskostenhilfeantrag verbunden war.
Sie ist der Ansicht, sowohl sie als auch ihre Tochter K hätten im Streitzeitraum ihren Wohnsitz in Deutschland beibehalten.
Die Klägerin behauptet, ursprünglich sei in Marokko nur ein Aufenthalt von einigen Wochen geplant gewesen. Sie sei im Dezember 2012 aber so schwer erkrankt, dass ihr Fluguntauglichkeit attestiert worden sei. Die Erkrankung habe sich bis in den März 2013 hingezogen. Zum Nachweis legte die Klägerin zwei Atteste eines marokkanischen Arztes vor. Wegen des Inhalts der Atteste wird auf Bl. und der Gerichtsakte verwiesen. Im März 2013 habe der deutsche Reisepass des älteren Kindes bei der Deutschen Botschaft verlängert werden müssen. Darum habe sich die Klägerin als allein sorgeberechtigter Elternteil bei der Deutschen Botschaft in Rabat kümmern müssen. Nachdem der deutsche Reisepass für S verlängert worden sei, sei die Klägerin zusammen mit K in die Bundesrepublik Deutschland zurückgekehrt.
Die Klägerin beantragt,
den Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid vom 08.10.2013 in Gestalt der dazu ergangenen Einspruchsentscheidung vom 18.02.2015 aufzuheben.
Die Familienkasse beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie ist der Ansicht, die Kindergeldfestsetzung sei zu Recht aufgehoben worden, weil K im Streitzeitraum keinen deutschen Wohnsitz gehabt habe und sich auch ihr gewöhnlicher Aufenthalt nicht in der Bundesrep...