Entscheidungsstichwort (Thema)
Kostenentscheidung nach billigem Ermessen. Überprüfbarkeit des Ermessens durch das Beschwerdegericht. Ermessenskriterien. abgrenzbarer Mehraufwand
Leitsatz (amtlich)
1. Die vom Sozialgericht getroffene Kostenentscheidung nach billigem Ermessen ist durch das Beschwerdegericht im Hinblick auf die Ermessenserwägungen in vollem Umfang überprüfbar.
2. Das Kriterium des „abgrenzbaren Mehraufwandes” stellt keine geeignete Ermessenserwägung im Rahmen des § 193 SGG dar.
3. Geeignete Ermessenserwägungen sind der Ausgang des Rechtsstreits und die potentielle Erfolgsaussicht sowie die Veranlassung zur Klageerhebung.
Normenkette
SGG § 193
Verfahrensgang
SG Darmstadt (Beschluss vom 14.02.1995; Aktenzeichen S-8/Vb-1020/93) |
Tenor
Auf die Beschwerde des Beschwerdeführers wird der Beschluß des Sozialgerichts Darmstadt vom 14. Februar 1995 abgeändert. Der Beschwerdeführer ist entsprechend seinem Angebot im Schriftsatz vom 2. März 1994 verpflichtet, der Beschwerdegegnerin die Hälfte der außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits zu erstatten.
Tatbestand
I.
Streitig war die Erhöhung des Grades der Behinderung – GdB – nach dem Schwerbehindertengesetz – SchwbG – von 30 auf 60. Die am 29. Oktober 1968 geborene Klägerin erlitt 1986 einen Autounfall. Infolgedessen stellte der Beklagte mit Bescheid vom 7. Juni 1989 bei ihr als Behinderung:
Wirbelsäulenveränderungen nach Unfall
mit einem GdB von 30 fest. Auf ihren Antrag auf Erhöhung des GdB vom 14. Februar 1992 holte der Beklagte einen Befundbericht bei … (praktischer Arzt, …) vom 15. März 1992 ein, dem diverse weitere Berichte beigefügt waren. Mit Bescheid vom 16. November 1992 stellte der Beklagte fest, daß eine wesentliche Änderung gegenüber den Verhältnissen, die dem Bescheid vom 7. Juni 1989 zugrunde gelegen haben, nicht eingetreten sei. Die Behinderungen der Klägerin bezeichnete er wie folgt neu:
Wirbelsäulenveränderungen nach Unfall und Versteifungsoperation im Beckenwirbelsäulen-/Lendenwirbelsäulenbereich.
Auf den Widerspruch der Klägerin vom 14. Dezember 1992 zog der Beklagte Unterlagen von der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte – BfA – über ein Verfahren der Klägerin wegen der Gewährung einer Versichertenrente wegen Erwerbs- bzw. Berufsunfähigkeit bei. Unter diesen Unterlagen befindet sich u.a. auch ein orthopädisches Rentengutachten des … vom 1. September 1992. Unter Berücksichtigung dessen sowie einer Stellungnahme der Dr. … vom 20. April 1993 für den Beklagten wies dieser mit Widerspruchsbescheid vom 21. Juli 1993 den Widerspruch zurück. Mit ihrer Klage vor dem Sozialgericht Darmstadt vom 24. August 1993 machte die Klägerin die Erhöhung des GdB von 30 auf 60 geltend. Das Sozialgericht hat einen Befundbericht bei Dr. … vom 30. Oktober 1993 beigezogen, dem diverse weitere medizinische Unterlagen, u.a. ein Bericht über eine Operation am 20. April 1993 in der Orthopädischen Universitätsklinik Heidelberg, beigefügt waren. Des weiteren gelangte ein Privatgutachten des Dr. … (Universitätsklinik Heidelberg/Orthopädie) vom 10. November 1993 und ein Befundbericht zu den Akten. Nach einer Stellungnahme der Dr. … (Frankfurt am Main) vom 6. Januar 1994 für den Beklagten gab dieser am 11. Januar 1994 ein Anerkenntnis dahingehend ab, daß er nunmehr bereit sei, den GdB insgesamt mit 40 zu bewerten. Die Klägerin erklärte sich hiermit einverstanden, und der Beklagte bot mit Schriftsatz vom 2. März 1994 an, der Klägerin die Hälfte der außergerichtlichen Kosten nach der Mittelgebühr zu erstatten. Dem stimmte die Klägerin nicht zu. Mit Beschluß vom 14. Februar 1995 hatte das Sozialgericht Darmstadt den Beklagten/Beschwerdeführer verpflichtet, der Klägerin/Beschwerdegegnerin die vollen außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits zu erstatten. Gegen diesen dem Beklagten am 23. Februar 1995 zugestellten Beschluß hat er am 21. März 1995 Beschwerde beim Hessischen Landessozialgericht eingelegt.
Entscheidungsgründe
II.
Die Beschwerde ist zulässig (§§ 172, 173 des Sozialgerichtsgesetzes – SGG) und begründet.
Gemäß § 193 SGG hat das Gericht, wenn das Verfahren anders als durch Urteil endet, auf Antrag durch Beschluß zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Die Entscheidung über die Kostentragungsverpflichtung erfolgt nach billigem Ermessen. Das Beschwerdegericht ist dabei befugt, die Ermessenserwägungen des Vordergerichts in vollem Umfang zu überprüfen und seine eigenen Ermessenserwägungen an die Stelle derjenigen des Vordergerichts zu setzen (vgl. hierzu Kopp, Verwaltungsgerichtsordnung, 7. Aufl., München 1986, Vorb § 124 Rdnr. 63; LSG Berlin, vom 17. November 1964 – Az.: L 12/An-S 199/64 in Breithaupt 1965, S. 440; LSG Bremen, vom 29. März 1982 – Az.: L 2 BR 1/82 S, in SGb 82, 557, andere Auffassung: LSG Bremen, vom 15. November 1985 – Az.: L 5 BR 13/85, Breithaupt 1987, 523; wohl auch LSG Bayern, vom 23. September 1955 – Az.: 5B Ar 79/55, m. zustimmender Anm. v. Brocke in SGb 56, 127 ff). Dies ergibt sich bereits daraus...