Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Wahltarif Selbstbehalt. Mindestbindungsfrist auch bei beabsichtigtem Wechsel in die private Krankenversicherung. Sonderkündigungsrecht
Leitsatz (amtlich)
Die Mindestbindungsfrist von drei Jahren für einen Selbstbehaltwahltarif gilt auch bei einem beabsichtigten Wechsel eines freiwillig gesetzlich Versicherten in die private Krankenversicherung.
Erst durch das GKV-Finanzierungsgesetz vom 22.12.2010 (BGBl I 2309) ist seit dem 1.1.2011 eine Änderung erfolgt. Danach geht das Sonderkündigungsrecht nach § 175 Abs 4 S 5 SGB 5 der Bindung durch einen Wahltarif nach § 53 Abs 1, 2, 4 und 5 SGB 5 vor, § 53 Abs 8 S 2 SGB 5.
Normenkette
SGB V § 53 Abs. 1-2, 4, 8 S. 1, 2 Fassung: 2010-12-22; SGB § 175 Abs. 4 S. 5, § 191 Nr. 3, § 242 Abs.
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichtes Darmstadt vom 26. Mai 2010 wird zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander auch im Berufungsverfahren keine Kosten zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Wirksamkeit von Kündigungen der freiwilligen Mitgliedschaft der Klägerin in der gesetzlichen Krankenversicherung für den Zeitraum vom 1. Januar 2009 bis zum 31. Dezember 2010.
Die 1970 geborene Klägerin ist seit dem 1. Juli 2004 Mitglied bei der Beklagten und dort seit dem 1. März 2006 freiwillig versichert. Am 27. Dezember 2007 unterzeichnete die Klägerin die Erklärung über die Wahl des Tarifes xxx 4 (Tarifbeginn: 1. Januar 2008). Die Erklärung enthält unter anderem den folgenden Passus:
“Ich wähle für den Zeitraum von 3 Jahren den folgenden Selbstbehalt-Tarif (…). Ab Vertragsabschluss besteht ein 14-tägiges Rücktrittsrecht. Dies muss schriftlich ausgeübt werden. Die Informationen im Merkblatt habe ich aufmerksam gelesen.„
In dem Merkblatt heißt es unter anderem:
“Laufzeit
Wenn Sie sich für diesen Tarif entscheiden, sind Sie mindestens 3 Jahre an den Tarif gebunden. Wird der Tarif nicht 3 Jahre vor Ablauf der Bindungsfrist gekündigt, verlängert er sich automatisch um ein weiteres Jahr.„
Mit Schreiben vom 27. Oktober 2008, bei der Beklagten eingegangen am 31. Oktober 2008, kündigte die Klägerin zum 31. Dezember 2008 ihre Mitgliedschaft bei der Beklagten. Mit Bescheid vom 5. November 2008 wies die Beklagte die Klägerin darauf hin, dass sie sich zum 1. Januar 2008 für den Tarif xxx 4 entschieden habe. Der Tarif beinhalte eine Bindungsfrist von 3 Jahren, welche in ihrem Fall zum 31. Dezember 2010 frühestens gekündigt werden könne. Seit dem 1. Januar 2009 ist die Klägerin privat bei der XY. Versicherung krankenversichert. Mit Datum vom 22. Januar 2009, 23. Februar 2009, 21. April 2009, 3. Juni 2009, 24. Juni 2009, 20. Juli 2009, 20. August 2009 und 22. Dezember 2009 erließ die Beklagte gegenüber der Klägerin Beitragsbescheide. Mit Schreiben vom 8. März 2009 erhob die Klägerin unter Bezugnahme auf den Beitragsbescheid vom 23. Februar 2009 Widerspruch und führte aus, dass sie von ihrem Recht zur außerordentlichen Kündigung fristgerecht zum 31. Dezember 2008 Gebrauch gemacht habe, da zum 1. Januar 2009 die Beiträge erhöht und zudem Leistungen aus dem ursprünglich geschlossenen Vertrag (Krankengeld) entfallen seien. Mit Bescheid vom 17. März 2009 wies die Beklagte die Klägerin darauf hin, dass aufgrund der Einführung des Gesundheitsfonds/Einheitsbeitrages kein Sonderkündigungsrecht bestehe. Zum 1. Januar 2009 hätten Versicherte einer Krankenkasse nur das Sonderkündigungsrecht, wenn diese Krankenkassen einen Zusatzbeitrag erheben würden. Dieses Sonderkündigungsrecht gelte nicht, wenn der Versicherte sich für einen Wahltarif entschieden habe. Mit Widerspruchsbescheid vom 14. Oktober 2009 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin zurück.
Am 16. Juli 2009 beantragte die Klägerin beim Sozialgericht Darmstadt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Widersprüche vom 8. März 2009, 10. Juni 2009 und 23. Juni 2009 gegen die betreffenden Bescheide der Beklagten. Das Verfahren erklärte sie am 10. September 2009 für erledigt (S 10 KR 195/09 ER).
Am 17. September 2009 beantragte die Klägerin beim Sozialgericht Darmstadt erneut im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Widersprüche vom 8. März 2009, 10. Juni 2009, 23. Juni 2009 sowie vom 3. September 2009 gegen die betreffenden Bescheide der Beklagten. Mit Beschluss vom 11. Dezember 2009 wies das Sozialgericht Darmstadt den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung als unzulässig zurück (S 10 KR 267/09 ER).
Am 30. November 2009, 21. Dezember 2009, 21. Januar 2010, 7. April 2010, 23. April 2010, 26. Mai 2010, 16. Juni 2010, 22. Juli 2010, 27. August 2010, 27. September 2010, 26. Oktober 2010, 23. November 2010, 4. Januar 2011 und am 26. Januar 2011 erließ die Beklagte weitere Beitragsbescheide unter Einbeziehung von Beiträgen zur Pflegeversicherung. Die Klägerin erhob jeweils Widerspruch gegen die Beitragsbescheide.
Gegen den Widerspruchsbescheid vo...