Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. keine Kündigung der freiwilligen Mitgliedschaft während der Mindestbindungsfrist eines Wahltarifs. kein Widerruf der wirksamen Tarifwahlerklärung
Leitsatz (amtlich)
1. Freiwillige Mitglieder gesetzlicher Krankenkassen können ihre Mitgliedschaft während der Mindestbindungsfrist eines Wahltarifs, an dem sie teilnehmen, auch nicht zum Zwecke des Wechsels in die private Krankenversicherung kündigen.
2. Die Entscheidung eines Versicherten für einen Wahltarif (Tarifwahlerklärung) kann nicht frei widerrufen werden.
Tenor
I. Auf die Berufung der Beklagten werden der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Chemnitz vom 5. Februar 2010 abgeändert und die Klage in vollem Umfang abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind für beide Rechtszüge nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist, ob der Kläger über den 30.06.2008 hinaus Mitglied der beklagten Krankenkasse war.
Der 1965 geborene Kläger war seit 01.01.1991 bei der Beklagten freiwillig krankenversichert, seit 01.04.2007 in einem Wahltarif. In dem Antragsformular für den Wahltarif, welches der Kläger am 23.05.2007 unterzeichnete, heißt es unter anderem:
"Die Bindung an den Tarif beträgt drei Jahre. Die Mitgliedschaft bei der Kasse kann während der Tarifbindung nicht gekündigt werden."
Am 08.04.2008 kündigte der Kläger seine bei der Beklagten bestehende Krankenversicherung zum 30.06.2008.
Mit Bescheid vom 08.04.2008 stellte die Beklagte fest, sie sei nach den gesetzlichen Bestimmungen vom Beginn des Wahltarifs bis zum 31.03.2010 für die Krankenversicherung des Klägers zuständig. Ein Kassenwechsel zu dem gewünschten Termin sei daher nicht möglich. Daraufhin erklärte der Kläger mit Schreiben vom 21.04.2008 den Widerruf seiner Tarifwahl. Über die Nachteile, die sich für ihn ergäben, sei er nicht informiert worden. Freiwillige Mitglieder hätten schon immer zum Ende des übernächsten Monats kündigen können. Es gebe keinen Grund, warum ein freiwilliges Mitglied, das in die private Krankenversicherung wechseln wolle, an einen Wahltarif gebunden sein solle. Die Beklagte hielt mit Bescheid vom 28.04.2008 daran fest, dass aufgrund der dreijährigen Bindung an den Wahltarif die Mitgliedschaft erst zum 31.03.2010 ende. Dies gelte auch bei einem Wechsel in eine private Versicherung. Eine Möglichkeit zum Widerruf der Tarifwahlerklärung räume das Fünfte Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) nicht ein. Auf Bitte des Klägers um nochmalige Prüfung stellte die Beklagte mit Bescheid vom 28.08.2008 erneut fest, aufgrund der Tarifwahl des Klägers sei ein Ende seiner Mitgliedschaft erst am 31.03.2010 möglich. § 53 Abs. 8 Satz 1 SGB V schreibe zwingend vor, dass die Mindestbindungsfrist für Wahltarife drei Jahre betrage. In Satz 2 dieser Bestimmung werde präzisiert, dass es sich insoweit um eine Abweichung von § 175 Abs. 4 SGB V handele.
Mit weiterem Bescheid vom 28.08.2008 forderte die Beklagte vom Kläger die Zahlung seines Beitrags für Juli 2008. Außerdem verlangte sie einen Säumniszuschlag von 5,50 EUR und eine Mahngebühr von 3,35 EUR.
Gegen diesen Beitragsbescheid und gegen die Bescheide zur Beendigung seiner Mitgliedschaft zum 30.03.2010 legte der Kläger mit Schreiben vom 04.09.2008 Widerspruch ein. Die Beklagte habe es insbesondere versäumt, ihn darauf hinzuweisen, dass ihm aufgrund der Entscheidung für einen Wahltarif der Weg in die private Krankenversicherung für 36 Monate versperrt sei.
In der Folgezeit forderte die Beklagte vom Kläger die Beiträge für August 2008 (Bescheid vom 22.10.2008), September 2008 (Bescheid vom 22.10.2008), Oktober 2008 (Bescheid vom 24.11.2008), November 2008 (Bescheid vom 15.01.2009) und Dezember 2008 (Bescheid vom 03.02.2009).
Mit Widerspruchsbescheid vom 19.12.2008 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück. Nach § 53 Abs. 8 Satz 2 SGB V könne die Mitgliedschaft abweichend von § 175 Abs. 4 SGB V frühestens zum Ablauf der dreijährigen Bindungsfrist an den Wahltarif gekündigt werden. Dies gelte auch für freiwillige Mitglieder, die in die private Krankenversicherung wechseln wollten. Auf die Bindungsfrist und den Ausschluss der Kündigung während der Tarifbindung sei der Kläger im Antragsformular hingewiesen worden.
Am 16.01.2009 hat der Kläger beim Sozialgericht Chemnitz (SG) Klage erhoben. Er habe seine Mitgliedschaft bei der Beklagten wirksam zum 30.06.2008 gekündigt. § 53 Abs. 8 SGB V sehe nur eine Verlängerung der 18-monatigen Bindungsfrist des § 175 Abs. 4 Satz 1 SGB V vor, die aber nicht für freiwillig Versicherte gelte, die in die private Krankenversicherung wechselten. Außerdem habe er seine Tarifwahlerklärung analog § 355 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) widerrufen, hilfsweise jedenfalls analog § 119 Abs. 1 BGB in Verbindung mit § 5 Abs. 4 und § 8 Abs. 4 Versicherungsvertragsgesetz (VVG) anfechten können. Andernfalls würde in wettbewerbswidriger Weise gegen europarechtliche Vorgaben zum Verbraucherschutz verstoßen.
Mit Gerichtsbescheid vom 05.02.2010 hat das SG die Bescheide d...