Auf den ersten Blick scheint die Entscheidung des BGH[36] eine Abkehr von der bisherigen Rechtsprechung darzustellen, die zentral auf die Verletzung von Sorgfaltspflichten des Delegierenden abstellte.

Der Anlass zum Hinterfragen steht indes in Verbindung mit den Sorgfaltspflichten des delegierenden Geschäftsherrn. Als solche kommen regelmäßig Pflichten zur sorgfältigen Auswahl, Schulung, Überwachung etc. der Delegaten in Betracht.[37] Beauftragt ein Geschäftsführer daher eine ihrem Ausbildungsstand entsprechend vollkommen ungeeignete Person mit der Erstellung von Steuererklärungen, hätte er bei objektiver Betrachtung Anlass, die Arbeitsergebnisse zu hinterfragen. Tut er dies nicht, würde dies ebenso wie die defizitäre Auswahl des Delegaten einen Sorgfaltsverstoß darstellen und kann er sich insoweit nicht darauf berufen, er hätte auf eine sachgerechte Aufgabenerfüllung vertraut. Der Anlass steht und fällt in diesem Sinne mit dem Bestand und der Erfüllung von Sorgfaltspflichten. Für die Prüfung der Leichtfertigkeit ist daher maßgeblich, ob der Delegierende vertrauen durfte. Deshalb stoppt der BFH nicht bereits beim Vertrauen als solchem, sondern legt dem Delegierenden Sorgfaltspflichten auf, die gewahrt werden müssen.[38]

Dabei ist indes zu beachten, dass nicht jeder Verstoß gegen Sorgfaltspflichten Leichtfertigkeit begründet. Erforderlich ist vielmehr mit den Worten der Finanzverwaltung, dass jemand in besonders großem Maße gegen Sorgfaltspflichten verstößt und ihm dieser Verstoß besonders vorzuwerfen ist, weil er den Erfolg leicht hätte vorhersehen oder vermeiden können.[39] Erforderlich ist stets eine Einzelfallbetrachtung, die die zu wahrenden Sorgfaltspflichten nach den individuellen Verhältnissen und nicht lediglich nach gruppenspezifischen Erwartungen bemisst.[40]

Zum Vertrauen bzw. "Vertrauen-Dürfen" hat die Rechtsprechung insb. beim Einsatz von Steuerberatern bereits zahlreiche Leitlinien aufgestellt.

[37] Vgl. BFH v. 18.9.2018 – XI R 54/17, BFH/NV 2019, 100 = AO-StB 2019, 75; vgl. auch Bülte in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 378 AO Rz. 64 (278. Lfg. 1/2024).
[38] Schulz/Quooß, NZWiSt 2024, 15 (16); BFH v. 26.11.2008 – V B 210/07, BFH/NV 2009, 362.
[40] Nach BFH v. 16.5.2023 – II R 35/20, BStBl. II 2024, 28 kann eine Leichtfertigkeit eines Geschäftsführers nicht mit bestimmten Kenntnissen, Fähigkeiten und Erkundigungspflichten von "Kaufleuten" begründet werden; vielmehr bedarf es einer Prüfung der individuellen Verhältnisse.

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