Dipl.-Finanzwirt Werner Becker, Dr. Andreas Nagel
Der Steuerberater hat übernommene Beratungsaufträge nach den Grundsätzen pflichtgemäßer Berufsausübung auszuführen (§ 13 Abs. 1 BOStB). Bei Beendigung des Auftrags hat er auf Aufforderung dem Auftraggeber die Handakten i. S. v. § 66 Abs. 3 StBerG herauszugeben (§§ 675 Abs. 1, 667 2. Alt. BGB, § 13 Abs. 4 BOStB). Dies gilt auch, wenn sich der Steuerberater zum Führen der Handakte der elektronischen Datenverarbeitung bedient (§ 66 Abs. 4 StBerG).
Der Steuerberater kann seinem Auftraggeber die Herausgabe der Handakten verweigern, bis er wegen seiner Gebühren und Auslagen befriedigt ist. Dies gilt nicht, soweit die Vorenthaltung der Handakten und der einzelnen Schriftstücke nach den Umständen unangemessen ist (§ 66 Abs. 2 Satz 2 StBerG). Die Vorenthaltung der Unterlagen muss den Grundsätzen von Treu und Glauben entsprechen.
Dabei wird im Besonderen auf die Verhältnismäßigkeit, also auf die Bedeutung der zurückbehaltenen Unterlagen für den Mandanten einerseits und auf die Höhe der Gebührenforderung des Steuerberaters andererseits, abgestellt (vgl. bereits ausführlich in Honorargestaltung 3/2016).
Geschäftsunterlagen als Druckmittel verwenden
Ein Steuerberater bzw. Rechtsanwalt darf, sofern das nicht ausnahmsweise zu einer besonders schweren Beeinträchtigung des Auftraggebers führt, dessen Geschäftsunterlagen somit als Druckmittel zur Begleichung seiner Honoraransprüche verwenden (vgl. BGH, Urteil v. 3.7.1997, IX ZR 244/96, NJW 1997, S. 2944). Beratungsunternehmen können sich auf die Vorschriften des § 66 Abs. 2 Satz 1 StBerG bzw. § 50 Abs. 3 BRAO nicht berufen. Eine analoge Anwendung dieser nur für die steuer- bzw. rechtsberatenden Berufe geltenden Spezialvorschriften scheidet ebenfalls aus (OLG München, Urteil v. 15.2.2017, 20 U 3317/16, NJOZ 2018, S. 1342).
Begriff der Handakten
Nach § 66 Abs. 3 StBerG gehören zur Handakte nur die Schriftstücke, die der Steuerberater oder Steuerbevollmächtigte aus Anlass seiner beruflichen Tätigkeit vom Auftraggeber oder für ihn erhalten hat, nicht aber der Briefwechsel zwischen dem Steuerberater oder Steuerbevollmächtigten und seinem Auftraggeber und nicht die Schriftstücke, die dieser bereits in Urschrift oder Abschrift erhalten hat. Daher zählen z. B. zur Handakte erhaltene
- Bilanzen,
- Steuererklärungen,
- Rechnungen,
- Kontoauszüge,
- Steuerbescheide,
- Schriftverkehr mit Geschäftspartnern des Mandanten,
- Buchführungsunterlagen,
- Grundaufzeichnungen,
- Bescheinigungen,
- Inventar- und Anlageverzeichnisse,
- Umbuchungslisten,
- Sachkonten,
- bei einem Rechenzentrum gespeicherte Datenbestände des Mandanten,
- Schriftstücke vom Mandanten und für ihn.
Handakten können auch mittels elektronischer Datenverarbeitung geführt werden
Das LG Stuttgart (Urteil v. 16.1.2019, 27 O 272/18, DStRE 2019, S. 852, nrkr.) hat in einem Verfahren wegen des Anspruchs eines Insolvenzverwalters auf Herausgabe von Handakten und deren Einsicht bestimmt, dass "Handakten" sowohl in Papierform als auch mittels elektronischer Datenverarbeitung geführte Handakten sind. Dazu gehören auch Dokumente, Schriftstücke, E-Mails, Dateien, Besprechungsprotokolle, Entwürfe, Präsentationen, Zeichnungen, Grafiken, handschriftliche Aufzeichnungen, Notizen sowie Vermerke, die der Steuerberater im Zusammenhang mit seiner beruflichen Tätigkeit für den Mandanten angelegt oder erhalten hat.
Ausgenommen davon sind Notizen, Unterlagen, Protokolle und Berichte, die Arbeitshilfen für interne Zwecke darstellen, sowie Unterlagen, die persönliche Eindrücke und vertrauliche Hintergrundinformationen darstellen. Dazu gehören auch der Schriftwechsel zwischen dem Steuerberater und seinem Mandanten, sowie zu internen Zwecken gefertigte Arbeitspapiere (vgl. auch Honorargestaltung 5/2020).
Verjährung des Herausgabeanspruchs
Der Anspruch des Mandanten auf Herausgabe der Handakten verjährt nach den bürgerlich-rechtlichen Vorschriften. Die berufsrechtlichen Bestimmungen über die Länge der Aufbewahrungsfrist haben keinen Einfluss auf den Lauf der Verjährung (BGH, Urteil v. 15.10.2020, IX ZR 243/19, NJW 2020, S. 3725, zur Verjährung des Anspruchs auf Herausgabe von Handakten eines Rechtsanwalts).
Fortbestand der Aufbewahrungsfrist dem Mandanten vermitteln
Der BGH setzt seine Rechtsprechung, wonach berufsrechtliche Vorschriften keine eigenen Ansprüche der Mandanten beinhalten, konsequent fort. Solche Ansprüche sieht der BGH vielmehr ausschließlich nur im (allgemeinen) Zivilrecht begründet. Seine Rechtsprechung zum Themenfeld "Herausgabe der Handakten nach § 66 StBerG" steht insoweit im Einklang mit der ganz herrschenden Literatur zum StBerG (vgl. Wacker, DStR 2021, S. 503).
Schwierig dürfte es in der Praxis allerdings sein, dem Mandanten zu vermitteln, dass die berufsrechtliche Aufbewahrungsfrist von 10 Jahren nach Mandatsbeendigung gem. § 66 Abs. 1 Satz 2 StBerG noch weitere 7 Jahre fortbesteht, wenn der ebenfalls mit Mandatsbeendigung entstehende Herausgabeanspruch des Mandanten nach § 667 BGB bereits (regel-)verjährt ist (vgl. Wacker, DStR 2018. S. 1791...