Frage:

Mir ist bekannt, dass bei Einsprüchen seit 1.7.2020 eine Anrechnung von Gebühren aus vorhergehenden Tätigkeiten vorzunehmen ist. Diese ist einerseits relativ kompliziert und hat andererseits nur geringe finanzielle Auswirkungen. Unglücklich ist auch, dass die Anrechnung nicht automatisiert bei DATEV vorgenommen werden kann, sondern "händisch" erfolgen muss. Kann man nicht einfach auf diese Anrechnung verzichten?

Antwort:

War ein Steuerberater mit der Angelegenheit, die zum Einspruchsverfahren führt, bereits im Besteuerungsverfahren befasst und hat dabei eine Gebühr nach §§ 23, 24 oder 31 StBVV verdient (z. B. für die Erstellung der ESt-Erklärung), muss er sich die Hälfte dieser Gebühren, höchstens jedoch einen Satz von 0,75, auf die Geschäftsgebühr für das Einspruchsverfahren anrechnen lassen (§ 35 Abs. 2 RVG i. V. m. Vorbem. 2.3 Abs. 4 Satz 1 VV RVG). Ergänzend schreibt § 35 Abs. 2 Satz 2 RVG vor, dass bei Ermittlung des Höchstbetrags des anzurechnenden Teils dieser Gebühr(en) der Gegenstandswert derjenigen Gebühr zugrunde zu legen ist, auf die angerechnet wird. Das ist der (geringere) Gegenstandswert des Einspruchsverfahrens. Maßgeblich ist dabei nicht die für das Einspruchsverfahren einschlägige RVG-Tabelle, sondern Tabelle A zur StBVV.

 
Praxis-Beispiel

Anrechnung von Gebühren

Ein Steuerberater fertigt für den Mandanten die Einkommensteuererklärung (Gegenstandswert: 110.000 EUR) und rechnet hierfür eine 2/10-Gebühr nach § 24 Abs. 1 Nr. 1 StBVV ab, also 318,60 EUR. Gegen den Steuerbescheid legt er auftragsgemäß Einspruch ein, da die festgesetzte Steuer um 4.000 EUR zu hoch ist. Von den gesamten Gebühren des Besteuerungsverfahrens (§ 24 Abs. 1 Nr. 1, § 27 Abs. 1, § 28 StBVV) muss er sich im Einspruchsverfahren nur die Gebühr nach § 24 Abs. 1 Nr. 1 StBVV zur Hälfte, berechnet mit dem Gegenstandswert des Einspruchs (4.000 EUR), anrechnen lassen. Das Einspruchsverfahren ist demnach wie folgt abzurechnen:

1,3 Geschäftsgebühr gem. § 40 StBVV i. V. m. Nr. 2300 VV RVG: 361,40 EUR

Anrechnung gem. § 40 StBVV i. V. m. § 35 Abs. 2 RVG i. V. m. Vorbemerkung 2.3 Abs. 4 Satz 1 VV RVG: 1/2 der Gebühr nach § 24 Abs. 1 Nr. 1 StBVV aus dem Gegenstandswert des Einspruchsverfahrens (4.000 EUR) nach Tabelle A = Anrechnung von 28,80 EUR

Für den Einspruch können 332,60 EUR (361,40 EUR ./. 28,80 EUR) abgerechnet werden.

Diese Anrechnung ist in der Tat etwas aufwendig. Sie kann aber in einer Vergütungsvereinbarung nach § 4 StBVV durch eine entsprechende klare und transparente Regelung außer Kraft gesetzt werden. Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG ist dispositiv ist und kann abbedungen werden, z. B. wie folgt (Beispiel in Anlehnung an Feiter, eKommentar StBVV, § 40, Rz. 17, Stand: 15.9.2020):

"Für Einspruchsverfahren wird die in § 35 Abs. 2 RVG, Vorbem. 2.3 Abs. 4 VV RVG vorgesehene Anrechnung der Gebühren nach §§ 23, 24, 31 StBVV auf die Geschäftsgebühr nach § 40 StBVV i. V. m. Nr. 2300 VV RVG einvernehmlich ausgeschlossen, mit der Folge, dass der Auftraggeber im Falle eines Einspruchsverfahrens sowohl die Gebühren nach § 23, 24, 31 StBVV, als auch die Geschäftsgebühr nach § 40 StBVV i. V. m. Nr. 2300 VV RVG in voller Höhe schuldet."

Die Regelung klingt zwar etwas sperrig, ist aber vollständig und dürfte durch den Verweis auf die einschlägigen Paragrafen ausreichend klar sein (zumindest für einen Richter, der dies ggf. prüfen müsste).

Alternativ ist es möglich, für den Einspruch eine andere Abrechnungsmethode zu wählen, z. B. eine Abrechnung nach Zeit, da laut Vorbemerkung 2.3 Abs. 4 VV RVG nur eine Anrechnung von Geschäftsgebühren auf eine Geschäftsgebühr erfolgt. Erfolgt also bei der Steuererklärung oder/und beim Einspruch keine Abrechnung mit Geschäftsgebühren, sondern nach Zeit, erfolgt auch keine Anrechnung. Dies könnte im Rahmen einer Vergütungsvereinbarung nach § 4 StBVV z. B. wie folgt geregelt werden (Beispiel in Anlehnung an Feiter, eKommentar StBVV, § 40, Rz. 17, Stand: 15.9.2020):

"Für die Tätigkeit im Besteuerungsverfahren wird eine Abrechnung nach Zeitaufwand wie folgt vereinbart: ……" (z. B. Ansatz der Zeitgebühr nach § 13 Satz 2 StBV) oder/und "Für die Tätigkeit im Einspruchsverfahren wird eine Abrechnung nach Zeitaufwand wie folgt vereinbart:…" (z. B. Ansatz der Zeitgebühr nach § 13 Satz 2 StBVV).

Wird die Anrechnung vorher entstandener Gebühren ausgeschlossen oder eine andere Art der Abrechnung des Einspruchs vereinbart, sollte der Mandant darauf hingewiesen werden, dass er im Fall eines Kosten­erstattungsanspruchs, z. B. nach einem gewonnenen Finanzgerichtsverfahren, nur die Kosten des Einspruchsverfahrens inklusive einer Anrechnung ­erstattet bekommt. Im Kostenfestsetzungsantrag kommen Sie also nicht mehr um die – ggf. händisch durchzuführende – Vornahme der Anrechnung herum.

Autor: Simon Beyme, Rechtsanwalt/Fachanwalt für Steuerrecht/Steuerberater, Römermann Rechtsanwälte AG, Berlin

Dieser Inhalt ist unter anderem im Haufe Steuer Office Excellence enthalten. Sie wollen mehr?